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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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flackernden Flammen. Er erzählte mir von einigen seiner Reisen. Ich beobachtete seine Hand, die das Glas hielt, die ungezwungenen Bewegungen, mit denen er es immer wieder an die Lippen führte. Er erzählte von einigen Meditationstechniken, die er in Indien erlernt hatte, und ich sagte: »Du warst anscheinend sehr viel unterwegs. Bist du allein verreist? Oder warst du verheiratet?«
    »Früher einmal, aber auf den Reisen war ich Single. Das war einer der Hauptgründe, warum ich überhaupt aufgebrochen bin. Ich brauchte Zeit für mich.«
    »Geschieden?« Ich stellte ihn mir mit einer Frau zusammen vor, die er an der Universität kennengelernt hatte, mit der er sich dann aber auseinandergelebt hatte, als sie beide zu arbeiten begannen – eine nicht seltene Entwicklung.
    »Nein, verwitwet.«
    Ich starrte ihn an, mein Glas verharrte auf halbem Weg zum Mund. Er war ebenfalls verwitwet?
    Er wirkte leicht amüsiert. »Alles in Ordnung?«
    »Ja, tut mir leid. Ich bin nur erstaunt, dass ich das nicht wusste.«
    »Ich habe es niemandem im Krankenhaus erzählt.«
    Noch eine Überraschung. Er wirkte wie ein offenes Buch, doch jetzt fragte ich mich, was er noch alles verschwieg. Mir wurde bewusst, dass seine Hand auf der Rückenlehne des Sofas lag. Wenn ich mich zurücklehnen würde, würde mein Nacken sie berühren, aber ich bewegte mich nicht. Stattdessen sagte ich: »Wusstest du, dass ich meinen Mann verloren habe?«
    Er nickte. »Irgendjemand hat es einmal erwähnt.«
    Ich wollte fragen, wer, doch dann fiel mir ein, dass ich einmal auf einer Benefizveranstaltung für die Krebsstation mit einer Krankenschwester darüber gesprochen hatte. »Wie hast du deine Frau verloren?«
    »Das war vor etwa sechs Jahren. Sie war auf dem Heimweg von der Schule – sie war Lehrerin –, und ein betrunkener Fahrer ist frontal auf ihren Wagen aufgefahren.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Mein Gott, das tut mir so leid.«
    »Danke. Danach ging es mir ziemlich lange ziemlich schlecht. Wir wollten gerade eine Familie gründen, so dass ich das Gefühl hatte, alles auf einmal verloren zu haben.«
    Ich verstand ihn nur zu gut und nickte. Wenn man jemanden verliert, trauert man auch um die Dinge, die niemals sein werden.
    »Ich bin in eine Trauergruppe gegangen«, fuhr er fort, »habe ein paar gute Freunde gefunden und bin inzwischen drüber hinweg.«
    »Hattest du seitdem irgendwelche Beziehungen?« Ich hielt den Atem an, als ich auf seine Antwort wartete, und fragte mich, auf was für eine Reaktion ich hoffte.
    Er drehte sein Gesicht ein kleines Stück, so dass er mich direkt ansah. Sein Arm ruhte immer noch auf der Sofalehne. Ich spürte die Hitze, die sein Körper abstrahlte, und die Wahrnehmung seiner Haut so nah an meiner sandte einen Schauder über meinen Rücken bis hinauf zum Nacken.
    »Nichts Ernstes. Ich habe noch niemanden gefunden, mit dem ich mich wirklich verbunden fühle. Es war immer zu leicht, die Distanz zu halten.« Er nippte an seinem Sake und fügte hinzu: »Ich habe schon angefangen zu grübeln, ob ich jemals wieder genug für jemanden empfinden würde, aber dann …« Er schwieg, seine Wangen röteten sich leicht.
    »Aber dann?«
    Immer noch zaudernd hielt er meinem Blick stand. »Dann habe ich dich getroffen und dachte, dass es vielleicht doch möglich ist.«
    Meine Brust wurde eng, und die Zeit schien plötzlich viel langsamer zu vergehen. Seine Gedanken und Gefühle spiegelten sich in seinem Blick. Mein Gesicht musste ihm irgendetwas verraten haben, denn er streckte die Hand aus und nahm mir das Glas mit dem Sake aus der Hand, während der andere Arm von der Sofalehne auf meinen Hals glitt. Die Finger im Nacken gespreizt, drehte er behutsam mein Gesicht, so dass ich ihn ansehen musste. Er beugte sich vor, bis seine Lippen auf meinen ruhten. Ich kam ihm entgegen, schmeckte den warmen Sake auf seiner Zunge, und Hitze durchströmte meinen Körper. Spielerisch wickelte er mein Haar um seine Finger. Ich berührte seinen Bizeps, spürte die harten Muskeln. Er übernahm die Führung, zunächst sanft und behutsam, dann immer leidenschaftlicher. Meine Erregung wuchs, ich atmete schneller. Dann fielen mir Lisas Worte ein. Ich konnte Dad spüren, als wäre er bei mir im Zimmer.
    Vor meinem geistigen Auge entstand ein Bild, wie ich Paul küsse, und unvermittelt fiel mir auf, wie anders sich Kevins Mund anfühlte. Ich öffnete die Augen, und mein Blick fiel auf Pauls Foto auf dem Kaminsims. Ich zog mich zurück und versuchte, zu Atem zu

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