Blick in Die Angst
überfallen.«
Ihre Worte trafen mich, als hätte sie mich geschlagen, und ich taumelte beinahe zurück.
Lisa, es war Lisa gewesen.
Ich fand meine Stimme wieder. »Warum? Ich verstehe nicht …«
»Ich war bei Freunden und wollte ein paar Drogen organisieren.« Sie sah zu Aaron. Er ermunterte sie mit einem Kopfnicken, fortzufahren. Sie wandte sich wieder an mich. »Ich wollte dich um Geld bitten, aber dann sah ich dich und wusste, dass du nein sagen würdest …« Sie begann erneut zu weinen, bedeckte ihre Augen, zu beschämt, mich auch nur anzusehen. Ich weinte ebenfalls, war zornig und gekränkt und versuchte, einen Sinn in alldem zu erkennen.
Meine Tochter hat mich auf einem Parkplatz liegengelassen. Sie hat mich zum Sterben zurückgelassen.
»Hasst du mich wirklich so sehr?«, flüsterte ich.
Ihr Gesicht spiegelte ihre Emotionen ungefiltert. »Nein, ich wollte nur …« Sie sah zurück zu Aaron und bat ihn stumm, für sie zu antworten.
»Es geht nicht um Hass, Nadine«, sagte er. »Es geht um Befreiung. Manchmal müssen wir die negativen Energien hinter uns lassen und unsere Herzen einer neuen Familie öffnen.«
Mein Zorn flammte erneut auf. »Willst du damit sagen, ich würde einen negativen Einfluss auf meine Tochter ausüben? Du weißt überhaupt nichts über uns oder unser Leben.«
»Er sieht alles.« Aaron deutete in Richtung Himmel.
Er glaubte also immer noch, dass das Licht zu ihm sprach. Es war völlig unmöglich, mit ihm zu streiten. Ich musste mich allein auf Lisa konzentrieren und zusehen, dass ich sie hier rausholte.
Ich sah Lisa direkt an. »Liebes, was immer du getan hast, was immer dir angetan wurde, wir können damit fertig werden! Ich liebe dich, egal, was geschehen ist.«
Sie schaute mir nicht in die Augen. Ich trat näher zu ihr. »Lisa, bitte schließ mich nicht aus. Können wir nicht einfach irgendwo hingehen und über alles reden?«
Aaron sagte: »Sie will nirgendwo mit dir hingehen.«
»Das wird sie mir schon selbst sagen müssen.«
Lisa hob den Kopf und sah mir in die Augen. Ihr Blick war leer und ausdruckslos. Sie hatte sich von ihren Gefühlen abgekoppelt, hatte sie alle in eine dunkle Ecke ihres Bewusstseins gepackt, aus der nicht einmal die Kraft meiner Liebe sie vorzerren konnte.
Sie sagte: »Ich bleibe hier. Ich will wieder glücklich sein.«
»Dieser Ort wird dich nicht glücklich machen.«
Sie starrte mich an. Es war egal, was ich sagte, selbst wenn ich ihr von meinem eigenen Missbrauch erzählen würde. Ich hatte diesen Ausdruck im Blick meiner Patienten gesehen. Nichts würde jetzt zu ihr durchdringen.
Aaron sagte zu ihr: »Du hast ein paar bedeutende Schritte für dein spirituelles Wachstum unternommen. Ich bin stolz auf dich.« In einer väterlichen Geste küsste er ihre Schläfe. Dankbar blickte Lisa zu ihm auf. Ich wollte seine Hände von ihr reißen.
Ich wollte ihn umbringen.
»Du kannst jetzt auf dein Zimmer gehen«, sagte er. »Ich spreche mit deiner Mutter. Alles wird gut.« Er lächelte ihr zu.
Ihr Blick glitt in meine Richtung, als schätze sie meine Reaktion ab – oder als suche sie etwas. Ich war mir nicht sicher, doch dann sah sie demonstrativ fort, als sie an mir vorbeiging.
Ich versuchte es ein letztes Mal. »Lisa, bitte warte eine Minute. Du verstehst nicht. Er hat mir weh getan – als ich ein Kind war.« Ich ergriff ihren Arm. Sie riss sich los und eilte hinaus auf den Korridor. Ich starrte auf ihren Rücken.
Meine Tochter war fort.
Jetzt blockierte Joseph die Tür. Ich hielt inne und spürte, wie die Atmosphäre im Raum sich veränderte und dunkler wurde, jetzt, wo Lisa gegangen war.
Joseph machte einen Schritt auf mich zu. »Es ist Zeit, dass du verschwindest.«
Aaron sagte: »Ich würde gerne noch allein mit Nadine reden, Joseph.«
Josephs Gesicht war ruhig, aber in seinen Augen blitzte kurz Ärger auf, und ein roter Schimmer überzog seinen Hals. Er zögerte, als wollte er widersprechen, doch Aaron nickte ihm zu, eine herablassende Geste, als würde er seinen Hund beiläufig aus der Habachtstellung entlassen. Joseph senkte den Kopf, schloss die Tür hinter sich und verließ Aarons Büro durch die andere Tür. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf einen abgedunkelten Raum. Zudem bemerkte ich eine Kamera in der Zimmerecke des Büros und fragte mich, ob wohl jemand zusah.
Ich wandte mich wieder an Aaron.
Er lächelte, und seine Stimme war ruhig und voller Selbstvertrauen. »Ich kann dir helfen, deine Beziehung zu deiner Tochter zu
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