Blick in Die Angst
kannst wieder in dein Zimmer gehen.«
Joseph schaute zwischen uns hin und her. »Nein. Ich kann es sehen, das Gift an ihr. Es kriecht ihren Arm hoch.« Seine Augen weiteten sich, und ich konnte mich nur mit Mühe beherrschen, nicht auf meinen Arm zu schauen, um zu sehen, was er sah. Ich wusste, dass dort nichts war.
Freundlich sagte Aaron: »Sie stellt keine Bedrohung dar. Das Licht beschützt uns vor ihrer schlechten Energie.«
Joseph zögerte, blickte erneut auf meine Arme, dann entspannte er sich ein wenig, als wäre das, was auch immer er zuvor gesehen hatte, verschwunden.
Aaron sagte: »Joseph, bitte lass uns jetzt allein.«
Verwirrt nickte Joseph und ging. Er warf mir einen letzten Blick zu, ehe er den Raum verließ. Seine rotgeränderten Augen funkelten zornig. Mir kam der beunruhigende Gedanke, dass Joseph, wenn Aaron ihn nicht beruhigt hätte, mich garantiert angegriffen hätte.
Ich tastete nach der Tür hinter mir. Ich musste auf der Stelle hier raus. Aaron bemerkte meine Bewegung und sagte: »Du kannst der Polizei erzählen, was du willst, Nadine, aber mir oder dem Zentrum wird nichts geschehen.« Er lächelte.
»Das werden wir ja sehen.« Ich eilte davon, rechnete halbwegs damit, dass er mir folgen würde, aber ich schaffte es zurück zu meinem Auto, ohne aufgehalten zu werden. Kein Mensch lief mir im Korridor über den Weg. Ich überlegte kurz, ob ich Lisa suchen sollte, aber das Gebäude war zu groß, und es gab nichts, das ich sagen könnte und das sie hören wollte.
Als ich davonfuhr, dachte ich darüber nach, dass Aaron mich so einfach hatte gehen lassen. Ich war keine Bedrohung für ihn. Ich war ein Nichts für ihn.
31. Kapitel
Auf dem Rückweg zurück in die Stadt hatte ich mit Atemschwierigkeiten zu kämpfen, meine Hände am Lenkrad zitterten, und mir war schlecht vor Aufregung. Ich fuhr direkt zum Polizeirevier. Der Officer, mit dem ich sprach, sagte, sie würden sich mit Aaron und Joseph unterhalten und auch Garret zur Vernehmung vorladen, aber ich wusste bereits, dass er alles abstreiten würde.
Erst zu Hause gestattete ich es mir endlich zu weinen. Jetzt, da ich wusste, dass es Garret war, der mir Lisa genommen hatte, während er Abend für Abend lächelnd an meinem Abendbrottisch gesessen hatte, fühlte ich mich zutiefst verraten, doch noch zorniger war ich auf mich selbst, weil ich die Anzeichen nicht bemerkt hatte. Für so vieles gab es plötzlich eine Erklärung. Lisas schlechte Laune nach jedem seiner Besuche, ihr zunehmender Drogenmissbrauch. Ich war verletzt und enttäuscht, weil sie sich mir nicht anvertraut hatte. Es war eine anstrengende Zeit gewesen, ich war gerade dabei, meine Facharztausbildung zu beenden, als Paul krank wurde. War ich wirklich für sie da gewesen? Ich hatte es versucht, hatte jeden Tag nachgefragt, wie es ihr ging und was sie trieb, hatte Zeit mit ihr verbracht, war mit ihr zusammen zur Trauergruppe gegangen, in der sie stumm dabeisaß, aber war ich wirklich für sie da gewesen? Hatte ich Garret so blind vertraut, dass ich nicht gesehen hatte, was er wirklich war? Ich fühlte mich von ihm hintergangen – ich hatte ihn wie mein eigenes Kind geliebt, hatte ihn in mein Herz und mein Leben aufgenommen. Jetzt wollte ich ihn eigenhändig umbringen, aber ich musste die Sache der Polizei überlassen.
Erst später, als ich in meinem Hausmantel auf dem Sofa kauerte, ließ ich die Tränen darüber zu, dass meine Tochter mir so fern war, dass sie mich überfallen hatte. Ich dachte an ihren Besuch im Krankenhaus in Nanaimo, wie sie den Blick abgewendet hatte. Würden wir es jemals schaffen, darüber hinwegzukommen?
Am nächsten Morgen rief die Polizei an, sie hatten sich inzwischen mit Aaron unterhalten. Er behauptete, ich wäre einfach in der Kommune aufgetaucht, wäre unerlaubt in das Gebäude eingedrungen und hätte einige seiner Mitarbeiter beleidigt. Sie hatten auch mit Lisa gesprochen, die leugnete, dass Garret sie missbraucht hätte. Ich versuchte, mich gegenüber dem Officer zu verteidigen, aber ich wusste, wie schwach meine Rechtfertigungen klangen. Und noch schlimmer, ich wusste, wie es sich für sie darstellen musste: Der Staatsanwalt wollte meine Anzeige nicht weiterverfolgen, also dachte ich mir jetzt irgendwelche Anschuldigungen aus.
Der Officer sagte: »Aaron Quinn hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass Sie in der Kommune nicht mehr willkommen sind. Ich verstehe, dass Sie verstimmt sind, weil Ihre Tochter dort lebt, aber allem Anschein nach
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