Blick in Die Angst
mussten. Und die Kläranlage war noch nicht einmal angeschlossen.
Was, wenn sie ihn in einem der Schächte begraben hatten?
Als ich bei Robbies Haus ankam, rannte ich zum Bagger. Ich hatte recht: Die Schachtdeckel lagen unter einem Sandhaufen begraben, doch die Rohrleitungen, die raus auf das Feld führten, waren unbedeckt. Eines ragte neben dem Hügel aus der Erde. Ich hörte ein gedämpftes Geräusch vom anderen Ende des Rohres. Ich konzentrierte mich auf das Geräusch und rief: »Robbie?« Dann hörte ich das Geräusch erneut, ein schwacher Hilferuf.
Ich brüllte runter: »Halt durch!«, wählte den Notruf und schrie Anweisungen ins Telefon.
Ich schnappte mir eine Schaufel aus der Werkstatt und begann zu graben, riss mir meine Jacke vom Leib und schleuderte sie beiseite. Es würde ewig dauern, genügend Erde zu entfernen, um den Deckel freizulegen. Ich sah den Bagger an. Steckte der Schlüssel noch?
Ich kletterte auf die Maschine und sah sofort den Schlüssel im Zündschloss. In ihrer Hast mussten sie ihn vergessen haben. Ich schaltete die schwere Maschine an, der laute Dieselmotor übertönte das Hämmern meines Herzens. Hoffentlich wusste ich noch, wie man mit diesem Ding umging. Meine Hände auf den Hebeln waren verschwitzt, ich versuchte, die Schaufel hochzubekommen, doch ich grub sie nur noch weiter in den Boden und verkeilte sie an einem Felsen. Endlich bekam ich heraus, wie man die Schaufel anhob, nahm Erde auf und kippte sie an der Seite wieder aus. Sobald der Deckel zu sehen war, schaltete ich den Motor aus und rannte zum Schacht.
Ich begann, an dem Betondeckel zu ziehen und zerren, aber er war fast sechzig auf sechzig Zentimeter groß – und schwer. Wie sollte ich Robbie je dort herausbekommen?
Ich sah zurück zum Bagger, der friedlich neben mir stand. Konnte ich den irgendwie einsetzen? Mein Blick fiel auf eine schwere Metallkette unterm Sitz, mit zwei Haken an jedem Ende. Ich zerrte die Kette über die Schaufel, befestigte ein Ende an den Zähnen, das andere am Deckel. Dann kletterte ich wieder auf den Bagger und brachte ruckelnd und zerrend, mit zittrigen Händen, die Schaufel hoch. Mit einem erleichterten Jubelschrei hob ich den Deckel an und ließ ihn an der Seite fallen. Ich schaltete den Motor erneut aus, rannte zur Öffnung und kniete mich hin. »Robbie, ist alles in Ordnung?«
Die Stimme meines Bruders wehte zu mir hoch. »Brew ist verletzt.«
»Ich komme runter.«
Ich ließ meine Beine in den Schacht baumeln, der nicht besonders tief aussah, hielt mich am Rand der Öffnung fest, besorgt, ich könnte auf Robbie landen. Doch als er meine Beine sah, hörte ich ihn vom anderen Ende des Schachts sagen: »Ich bin hier drüben.« Ich ließ mich fallen und landete mit einem dumpfen Aufprall in einem winzigen Raum von vielleicht eins zwanzig auf zwei fünfzig. Das Licht, das von oben hereinfiel, spendete nur wenig Helligkeit, doch ich sah Robbie in der Ecke sitzen, den Rücken an die Wand gestützt. Brew lag neben ihm.
Jetzt bemerkte ich auch, dass Robbie sein Hemd ausgezogen hatte und es als Bündel gegen Brews Schulter presste. Das Tier atmete hastig, die Flanke hob und senkte sich, und jedes Mal beim Ausatmen machte er ein tuckerndes Geräusch.
»Kannst du Brew helfen?« Robbies Stimme klang belegt, er sprach hastig, so dass die Worte in ihrer Eile, herauszukommen, übereinanderpurzelten.
Ich kroch zu ihnen. »Ganz ruhig, mein Guter«, sagte ich, als Brew winselte. Ich überprüfte seinen Puls an der Oberschenkelarterie. Er war schwach und faserig. Es roch nach Blut, vermischt mit Hundeatem und Fell. Ich nahm auch Robbies Körpergeruch war, er roch nach Schweiß und Dreck und Diesel von seinem Bagger.
Immer noch leicht atemlos, sagte Robbie: »Brew hat Joseph angegriffen. Ich habe versucht, die Blutung zu stillen.«
Ich tastete Brews Rippen und Brust ab. Meine Hand war mit warmem, klebrigem Blut bedeckt. Ich untersuchte sein Zahnfleisch. Selbst in dem Dämmerlicht konnte ich erkennen, dass es hellgrau war. Ich presste den flachen Teil meines Fingers dagegen und überprüfte, wie lange es dauerte, bis die Kapillaren sich wieder füllten.
Fünf Sekunden. Viel zu langsam.
Die Kugel hatte vermutlich eine kleine Vene getroffen, und jetzt hatte er innere Blutungen. Wenn es eine wichtige Arterie gewesen wäre, wäre er innerhalb weniger Minuten gestorben. Der schwere Atem wies vermutlich weniger darauf hin, dass er Schmerzen hatte, sondern dass sein Körper Mühe hatte, genügend
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