Blick in Die Angst
ebenfalls sehr jähzornig sein, aber er konnte es besser verbergen. Ich glaube nicht, dass es viele Leute mitbekommen haben. Da war noch ein Mädchen im Teenageralter, Willow. Sie hat die Kommune verlassen.« Ich zögerte. »Ist es möglich festzustellen, ob sie vermisst gemeldet wurde? Ich glaube, sie kam aus Alberta.« Ich hatte mich nicht bewusst daran erinnert, bis die Worte aus meinem Mund kamen. Ich erzählte der Polizistin alles, was ich über Willow wusste.
Als ich fertig war, sagte sie: »Damals sind eine Menge Teenager von zu Hause abgehauen. Sie blieben eine Zeitlang bei einer Gruppe und zogen dann weiter zur nächsten.«
»Ich verstehe. Ich würde mich nur wesentlich besser fühlen, wenn ich wüsste, was aus ihr geworden ist.«
»Wir werden uns die Sache einmal ansehen«, sagte Corporal Cruikshank. »Aber es könnte eine Weile dauern, die alten Akten aufzustöbern, es ist einfach schon ziemlich lange her.«
16. Kapitel
Als ich auf der Polizeistation fertig war, fuhr ich um den westlichen Ausläufer des Sees herum zu meinem Elternhaus. Meine Familie besaß ein paar Hektar Land, das an die alte Eisenbahnstrecke grenzte. Nach dem Tod unserer Mutter hatte Dad jahrelang allein auf der Ranch gelebt. Robbie sah jede Woche nach ihm, bis er ihn eines Tages tot im Sessel sitzend auffand. Dad hatte ein paar Aktien und Anleihen besessen, die ich für meine Ausbildung bekam, während Robbie das Haus übernahm. In den letzten Jahren war ich nur selten hier gewesen, und bei jedem Besuch hatten wir krampfhaft versucht, irgendein Thema zu finden, über das wir uns unterhalten konnten.
Ich hatte Robbie seit mindestens einem Jahr nicht mehr gesehen und nur kurz an Weihnachten mit ihm telefoniert. Er hatte die Tage mit Freunden verbracht, wie er es seit Jahren tat. Ich schickte ihm immer ein Care-Paket mit Fleisch und Käse. Als Lisa noch zu Hause wohnte, besuchte Robbie uns zu Weihnachten und Thanksgiving. Er schlang sein Essen herunter und schielte danach schon gleich wieder zur Tür – aber er liebte Lisa. Als sie klein war, konnte sie nur »Onka Wobbie« sagen, während sie ihm überallhin folgte. Er ließ sie auf seinem Minibagger mitfahren, beide mit ernsten Gesichtern und ohne dass einer von ihnen auch nur ein Wort sagte.
Robbie hatte im Straßenbau für ein Holzfällerunternehmen gearbeitet, bis er fast dreißig war, dann hatte er sich einen eigenen Fuhrpark angeschafft. Jetzt gehörte ihm eine Firma für Bagger- und Tiefbauarbeiten, die ziemlich gut lief, oder zumindest so gut, wie er wollte. Geld hatte ihn noch nie gereizt. Nach Pauls Tod war ich eines Tages im Herbst spontan nach Shawnigan gefahren, um einfach für eine Weile meinen Gedanken zu entkommen. Robbie war gerade dabei gewesen, eine Trockenmauer auf der Ranch zu bauen – er hatte den alten Stall abgerissen und eine Werkstatt mit zwei Stellplätzen an die Stelle gesetzt. Ich stand in dem kalten, ungemütlichen Regen, sah ihm zu und dachte, wie selbstsicher er wirkte, wenn er den Kleinbagger bediente. Mit der Schaufel packte er die Felsbrocken und setzte sie behutsam wieder ab. Mit ruhigen, geschickten Handbewegungen dirigierte er die Hebel.
Irgendwann rief er »Steig ein« und zeigte mir, wie die Fußpedale und Hebel funktionierten. Als ich den Bogen halbwegs raushatte, sprang er vom Bagger und sah mir zu, wie ich unbeholfen an den Hebeln zerrte und die Schaufel auf den Boden knallte. Er lachte nur und machte die Handbewegung vor, damit ich wusste, was ich anders machen musste. Über den Lärm der Maschine hinweg brüllte er mir zu, dass er etwas in der Werkstatt zu erledigen hätte, und ließ mich eine Weile allein. Ich baggerte, hob die Schaufel und zog sie zu mir und hatte das Gefühl, mehr Kontrolle über diese Maschine zu haben als über irgendetwas anderes in meinem Leben. Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich blickte über die Schulter und sah, dass Robbie mich aus der Ferne beobachtete. Als ich endlich aufhörte, waren meine Hände kalt und verkrampft, und ich hatte die halbe Böschung verwüstet. Robbie zeigte mir, wie ich meine Hände über dem Auspuffrohr wärmen konnte. Wir hatten nicht über Paul oder sonst irgendetwas gesprochen, was in unseren Leben passierte, aber als ich an diesem Tag nach Hause fuhr, empfand ich zum ersten Mal seit Monaten einen tiefen Frieden.
Das Wohnhaus war frisch renoviert, es hatte eine neue Verkleidung aus Zedern-Schindeln, ein Aluminiumdach und eine große Terrasse bekommen, aber dort war er
Weitere Kostenlose Bücher