Blick in Die Angst
vielleicht noch den einen oder anderen Gefallen einfordern. Geben Sie mir Bescheid, was Sie herausfinden.« Die letzten Worte klangen schroff, immer noch ganz der Sergeant.
»Ich werde mir Mühe geben.«
»Seien Sie vorsichtig.«
Meine Nerven vibrierten, als ich an das Dröhnen des Trucks dachte, der vor meinem Haus langsamer wurde und dann wieder Gas gab. »Denken Sie da an etwas Bestimmtes?«
»Achten Sie nur darauf, dass jeder, mit dem Sie über die Kommune reden, Ihnen mehr erzählt als umgekehrt. Wenn Ihre Gesprächspartner noch Kontakt zu den Leuten haben, wollen Sie bestimmt nicht, dass Aaron davon erfährt.«
»Er weiß bereits, dass ich Anzeige erstattet habe.«
»Im Moment weiß er, dass Sie damit nichts erreicht haben, aber wenn er herausfindet, dass Sie mit ehemaligen Mitgliedern reden und Sie ihm zu nahe kommen, könnte er abhauen. Ihm gehören ähnliche Zentren in der ganzen Welt, was bedeutet, dass bei ihm Fluchtgefahr besteht.«
»In Ordnung. Ich werde daran denken.«
»Und erzählen Sie ihr auch nichts von Willow – das würde ich bis auf weiteres gerne noch unter Verschluss halten. Lassen Sie uns abwarten, was für Informationen Tammy von allein herausrücken wird.«
Seine Argumente klangen vernünftig, also sagte ich: »Verstanden.« Doch als ich auflegte, hörte ich Willows Stimme in meinem Kopf. Wenn es irgendetwas gibt, über das du reden möchtest … Ich versuchte, mich an diesen Moment zurückzuerinnern und rätselte, warum diese Worte mich verfolgten. Dann wurde mir klar, dass ich ihr erzählen wollte, was Aaron getan hatte, aber zu große Angst gehabt hatte. Wie hätten sich die Dinge wohl entwickelt, wenn ich damals geredet hätte?
Nachdem ich meine Visite beendet hatte, rief ich die Nummer an, die Steve mir gegeben hatte, und wurde von einer freundlichen Frauenstimme begrüßt. »Hallo?«
»Hallo, mein Name ist Nadine Lavoie, und ich hatte gehofft …« Ich brach ab, als ich ein lautes Krachen im Hintergrund hörte, gefolgt vom Weinen eines Kindes.
»Herrje, bitte bleiben Sie kurz dran.« Es schepperte, als sie das Telefon ablegte, dann hörte ich beschwichtigende Laute. Sie kam zurück. »Tut mir leid. Mein Kleiner ist gerade hingefallen.«
»Ich hoffe, er hat sich nichts getan?«
»Ihm geht’s gut.« Sie sprach schnell und wartete offensichtlich darauf, dass ich endlich zur Sache käme. Eine gestresste Mutter.
»Ich hatte gehofft, Sie in einer persönlichen Angelegenheit sprechen zu können.«
Ihre Stimme wurde wachsam. »Wer sind Sie?«
»Ich glaube, die Polizei hat Ihnen gesagt, dass ich möglicherweise anrufe. Ich bin Psychiaterin in Victoria, und ich stelle gerade Nachforschungen über etwas an, das geschehen ist, als ich ein Kind war …«
»Ach ja.« Sie klang eher neugierig.
Steves Freund hatte ihr bereits erzählt, dass ich in der Kommune gelebt hatte und nun versuchte, ehemalige Mitglieder zu finden, doch solange wir uns nicht persönlich gegenübersaßen, wollte ich keine weiteren Einzelheiten preisgeben. »Ich hatte gehofft, persönlich mit Ihnen sprechen zu können.«
Sie schwieg, und das Baby begann, im Hintergrund zu quengeln. »Ich weiß nicht recht. Mein Mann ist gerade nicht da …« Die Nervosität und Unsicherheit waren ihr deutlich anzumerken, aber da war auch noch etwas anderes. Sie hatte ihre Nummer herausgegeben, also wollte sie offensichtlich reden. Vielleicht war es ihr unangenehm, sich in der Öffentlichkeit zu treffen.
»Ich könnte zu Ihnen nach Hause kommen.«
»Gibt es eine Möglichkeit, dass ich mich, na ja, absichern kann, wer Sie sind?« Die Bitte schien sie verlegen zu machen.
»Natürlich.« Ich gab ihr meine Nummer und bat sie, mich im Krankenhaus zurückzurufen. Aber sie tat es nicht. Nach zehn Minuten fragte ich mich allmählich, ob der Mut sie verlassen hatte. Ich war kurz davor, aufzugeben und zu meinem nächsten Termin zu gehen, als das Telefon klingelte.
»Tut mir leid, dass Sie warten mussten. Mein Sohn brauchte seine Flasche. Können Sie heute Abend vorbeikommen? Mein Mann ist mittwochs immer beim Eishockeytraining.«
Interessant, dass sie erwähnte, dass ihr Mann am Abend nicht zu Hause sein würde. Wie viel wusste er von ihrem früheren Leben? »Selbstverständlich.«
Ich notierte ihre Adresse und legte auf. Ich ermahnte mich, dass sie ihre Aussage damals widerrufen hatte und dass dies ein sensibles Thema war, aufgeladen mit Schamgefühlen, denen ins Gesicht zu blicken sie vielleicht noch nicht bereit war. Aber
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