Blick in Die Angst
Privatcomputer sind nicht gestattet – es gibt nur welche, die die Büroleute für die Verwaltung und so brauchen. Also spielen sie die Podcasts auf dem großen Bildschirm im Meditationsraum ab.«
»Ich hörte, dass sie auch einen Laden haben?«
Sie nickte. »In der Nähe der Innenstadt. Sie verkaufen Bio-Lebensmittel, Bücher, CDs und Schmuck. Darüber haben wir eine Menge Obdachlose und Straßenkinder gefunden.« Tammy hatte sich warmgeredet und wirkte sichtlich erleichtert, über ihre Erlebnisse sprechen zu können. »Er macht nicht mehr viele private Heil-Meditationen, nur für die Leute, zu denen er eine Vision hatte. Aber in den Räumen sind Lautsprecher, so dass er zu allen sprechen kann. Manchmal ist er zu uns Kindern in die Schule gekommen und hat uns beim Chanten vorgesungen. Er sagte, unsere Seelen seien reiner und offener für die Schwingungen der Erde.«
Ich stellte mir Kinder vor, die sich um Aaron drängen und zu seinen Füßen knien. Dann erinnerte ich mich daran, wie ich vor ihm gekniet hatte, während er meinen Kopf nach unten drückte.
Tammy beobachtete mich. Ich brauchte einige Momente, um meine Stimme wiederzufinden und meine Gedanken zu sammeln. Der nächste Teil würde schwierig werden.
»Da ist noch etwas, über das ich heute gerne mit Ihnen sprechen würde.« Ich räusperte mich und nahm einen Schluck von meinem Kaffee. »Aaron … er hat mich auch sexuell missbraucht, als ich ein Kind war.« Tammys Augen weiteten sich. »Er überzeugte mich, dass ich ihn … Sachen mit mir machen lassen musste, oder meine Mutter würde krank werden. Als ich mich daran erinnerte, was er getan hat, begann ich mir Sorgen zu machen, dass es noch mehr Mädchen geben könnte …«
Einen Moment lang glaubte ich, Tammy würde anfangen zu weinen, aber dann sah sie zu ihrem Sohn, blinzelte heftig und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen.
»Mir hat er erzählt, ich sei etwas ganz Besonderes und dass er meiner Familie helfen könnte«, sagte sie leise. »Aber ich dürfte niemandem davon erzählen. Es musste unser Geheimnis bleiben.«
Ich nickte, mit einer Mischung aus Traurigkeit und Wut über unsere verlorene Unschuld und darüber, wie er unser Vertrauen missbraucht hatte. Alles, was sie sagte, war nur zu vertraut.
»Er sagte auch, wenn ich ihm nicht helfe, würde er meine Eltern oder Schwester nicht länger behandeln, und sie würden an Krebs sterben.«
Also drohte er immer noch mit Krankheit, um die Menschen zu manipulieren. Nachdem Tammy bereits ihren Bruder hatte sterben sehen, war das gewiss ein mächtiges Druckmittel gewesen. Behutsam sagte ich: »Haben Sie Ihren Eltern jemals von dem Missbrauch erzählt?«
»Wir haben es versucht, aber sie haben uns nicht geglaubt. Sie sagten, es sei eine Ehre, private Heilsitzungen bei ihm zu haben.« Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.
»Es tut mir so leid, Tammy.« Es war eine traurige Tatsache, dass viele Eltern ihren Kindern in solchen Fällen nicht glauben wollten, besonders, wenn es um ein anderes Familienmitglied oder ein respektiertes Mitglied der Gemeinschaft ging.
»Ich weiß, sie sind einfach nur verkorkst, seinetwegen, und weil unser Bruder gestorben ist, aber ich weiß nicht, wie man seinem eigenen Kind nicht glauben kann.« Sie blickte erneut zu ihrem Sohn. »Wenn irgendjemand Dillon etwas antun würde, würde ich ihn umbringen.« Tammy wandte sich wieder an mich. »Joseph hat uns ausfindig gemacht, nachdem wir zur Polizei gegangen sind.«
Also lebte Joseph noch. Ich wollte nach seiner Stellung im Zentrum, nach seiner geistigen Gesundheit fragen, doch Tammy beantwortete meine unausgesprochene Frage selbst mit dem nächsten Satz.
»Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Er war mir immer schon irgendwie unheimlich gewesen, aber da geiferte er jetzt richtig rum und sagte verrückte Sachen. Zum Beispiel, dass das Licht uns strafen würde, wenn wir unsere Geschichte nicht zurückzögen. Wir hatten Angst, dass er uns etwas antun würde, also erzählten wir der Polizei, wir hätten uns das alles nur ausgedacht. Nicole hatte immer noch furchtbare Angst und ging zurück.«
»Aber Sie nicht?«
»Ich hatte inzwischen meinen Mann kennengelernt. Eines Tages sah er Joseph vor meinem Haus und sagte ihm, dass er ihn umbringen würde, wenn er noch einmal in meine Nähe käme. Danach haben wir nie wieder etwas von ihm gehört.«
Ich dachte daran, wie es war, als mein Vater auftauchte, um uns abzuholen. Es schien, als übten Aaron und Joseph
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