Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen (German Edition)
am Tag an, um sich von Phyllis oder Holley auf den neuesten Stand bringen zu lassen und ihnen Rückmeldung über die Ergebnisse seiner Nachforschungen zu geben. Steve Tatter, ein weiterer guter Freund und Neurochirurg, rief ebenfalls täglich an und gab Rat und Trost. Aber Tag für Tag bestand die einzige Offenbarung darin, dass mein Fall der erste dieser Art in der Medizingeschichte war. Eine spontane E.-coli- Meningitis kommt bei Erwachsenen sehr selten vor. Weniger als einer von 10 Millionen Menschen erkrankt jährlich daran. Und wie alle Varianten der gramnegativen bakteriellen Meningitis ist sie hochaggressiv. So aggressiv, dass mehr als 90 Prozent der Infizierten sterben, die anfangs, wie ich, einen rapiden neurologischen Verfall erleben. Und diese Sterblichkeitsrate, galt für den Zeitpunkt, zu dem ich in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Diese düsteren 90 Pro zent krochen, während die Woche verging und mein Körper nicht auf die Antibiotika reagierte, auf 100 Prozent. Die wenigen, die einen Fall wie den meinen überleben, brauchen in der Regel für den Rest ihres Lebens eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Offiziell hatte ich den Status »N von 1«. Dieser Begriff bezieht sich auf medizinische Studien mit nur einem Patienten. Es gab einfach niemand anderen, mit dem die Ärzte meinen Fall vergleichen konnten.
Von Mittwoch an brachte Holley Bond jeden Nachmittag nach der Schule zu einem Besuch ins Krankenhaus. Aber ab Freitag fragte sie sich, ob diese Besuche vielleicht mehr schadeten als nützten. Anfang der Woche hatte ich mich bisweilen bewegt. Mein Körper war wilden Zuckungen unterworfen. Dann massierte eine Schwester meinen Kopf und beruhigte mich, sodass ich irgendwann wieder still wurde. Das mit anzusehen war für meinen zehnjährigen Sohn verwirrend und unangenehm. Es war schlimm genug, dass er sich einen Körper anschauen musste, der keine Ähnlichkeit mehr mit seinem Vater hatte. Aber dann auch noch zu sehen, wie dieser Körper mechanische Bewegungen machte, die er nicht als meine erkannte, war eine ganz besondere Herausforderung. Tag für Tag wurde ich immer weniger die Person, die er gekannt hatte, und immer mehr ein unkenntlicher Körper in einem Bett – ein grausamer und fremder Zwilling des ihm einst vertrauten Vaters. Gegen Ende der Woche hatten diese gelegentlichen Ausbrüche motorischer Aktivität fast ganz aufgehört. Ich brauchte keine Sedierung mehr, weil die Bewegung meines Körpers – selbst die tote, automatische Art von Bewegung, die von den rudimentären Reflexen meines Stammhirns und Rückenmarks hervorgerufen wurde – fast auf null geschwunden war.
Weitere Familienmitglieder und Freunde riefen an und fragten, ob sie kommen sollten. Am Donnerstag wurde entschieden, dass sie nicht kommen sollten. Es herrschte schon jetzt zu viel Tumult in meinem Zimmer auf der Intensivstation. Die Schwestern wiesen nachdrücklich darauf hin, dass mein Gehirn Ruhe brauche – je ruhiger, desto besser.
Der Ton der Telefongespräche veränderte sich ebenfalls merklich. Es war eine subtile Verschiebung von hoffnungsvoll nach hoffnungslos. Manchmal hatte Holley, wenn sie sich in meinem Zimmer umschaute, das Gefühl, sie habe mich bereits verloren.
Am Donnerstagnachmittag klopfte es bei Michael Sullivan an der Tür. Es war seine Kirchensekretärin.
»Das Krankenhaus ruft an«, sagte sie. »Eine der Schwestern, die Eben versorgen, möchte mit Ihnen sprechen. Sie sagt, es sei dringend.«
Michael griff zum Telefonhörer.
»Michael«, sagte die Schwester, »Sie müssen sofort kommen. Eben liegt im Sterben.«
Als Pastor war Michael schon oft in dieser Situation gewesen. Pastoren sehen den Tod und die Trümmer, die er hinterlässt, fast genauso oft wie Ärzte. Dennoch war Michael schockiert, als er das Wort »Sterben« in Zusammenhang mit mir hörte. Er rief Page an, seine Frau, und bat sie zu beten – sowohl für mich als auch um die Kraft, die er brauchen würde, um der Situation gewachsen zu sein. Dann fuhr er durch den kalten Dauerregen zum Krankenhaus. Er hatte Mühe, überhaupt etwas zu sehen, denn seine Augen standen voller Tränen.
Als er in mein Zimmer kam, fand er so ziemlich genau die gleiche Szene vor wie bei seinem letzten Besuch. Phyllis saß an meinem Bett und hielt meine Hand, wie sie es abwechselnd mit anderen ohne Pause seit ihrer Ankunft Montagnacht gemacht hatte. Meine Brust hob und senkte sich mithilfe des Beatmungsgeräts zwölf Mal pro Minute, und die Schwester erledigte still
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