Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen (German Edition)
die übriggeblieben waren, bevor sich mein Kortex vollkommen verabschiedete. Wie ein Computer, der nach einem Absturz bei einem Neustart so viel wie möglich rettet, hätte mein Ge hirn demnach meine Erfahrung, so gut es ihm möglich war, aus diesen übriggebliebenen Stücken zusammengesetzt. Das könnte vorkommen, wenn der Kortex nach einem längeren Systemausfall, wie er durch meine ausgedehnte Meningitis hervorgerufen worden war, neu ins Bewusstsein gestartet wird. Doch das scheint höchst unwahrscheinlich angesichts der Feinheit und der Interaktivität meiner vielschichtigen und in sich stimmigen Erinnerungen.
Weil ich die nicht lineare Natur der Zeit in der spirituellen Welt so intensiv erlebt habe, kann ich jetzt verstehen, warum so viel, was über die spirituelle Dimension geschrieben wird, aus unserer irdischen Sicht verdreht oder einfach nur unsinnig erscheint. In den Welten über dieser verhält sich die Zeit einfach nicht so wie hier. In diesen Welten geschieht nicht unbedingt eines nach dem anderen. Ein Moment kann einem wie ein ganzes Leben vorkommen und viele Leben wie ein einziger Moment. Doch dass sich die Zeit in den jenseitigen Welten nicht so verhält, wie wir es gewohnt sind, heißt nicht, dass sie ungeordnet ist, und auch meine Erinnerungen an meine Zeit im Koma waren alles andere als ungeordnet. Die diesseitigsten zeitlichen Anker meiner Erfahrung waren meine Interaktionen mit Susan Reintjes, als sie mich in der vierten und fünften Nacht kontaktierte, und gegen Ende meiner Reise das Erscheinen jener sechs Gesichter. Jedes andere Auftreten einer Gleichzeitigkeit von Ereignissen auf der Erde und während meiner Reise jenseits davon ist, so könnte man sagen, eine reine Vermutung!
Je mehr ich über meinen damaligen Zustand erfuhr und je mehr ich unter Hinzuziehung der wissenschaftlichen Literatur zu erklären versuchte, was passiert war, desto schlechter stand ich da. Alles, die unheimliche Deutlichkeit meines Sehens ebenso wie die Klarheit meiner Gedanken als rein konzeptioneller Ablauf, wies eher auf eine höhere und bessere als auf eine geringere Arbeitsweise meines Gehirns hin. Aber meine höher entwickelten Gehirnareale waren funktionsunfähig und konnten diese Arbeit nicht tun.
Je mehr »wissenschaftliche« Erklärungen von Nahtoderlebnissen ich las, desto schockierter war ich über ihre Fadenscheinigkeit. Und doch musste ich zähneknirschend zugeben, dass es genau die Erklärungen waren, auf die mein altes »Ich« vage verwiesen hätte, wenn mich jemand gebeten hätte zu »erklären«, was ein Nahtoderlebnis ist. Doch von Menschen, die selbst keine Ärzte waren, konnte man nicht erwarten, dass sie dies wussten.
Wäre das, was ich durchlebt habe, jemand – irgendjemand – anderem passiert, wäre das bemerkenswert genug. Aber dass es mir passiert ist … Zu sagen, dass es »einen Grund« dafür gab, machte mich ein wenig beklommen. Ich hatte noch genug von dem alten Arzt in mir, um zu wissen, wie absonderlich – ja, wie vollmundig – das klang. Aber wenn ich die schiere Unwahrscheinlichkeit aller Einzelheiten zusammenzählte – und vor allem, wenn ich daran dachte, wie perfekt und präzise eine Erkrankung wie die E.-coli- Meningitis dazu geeignet war, meinen Kortex auszuschalten, und wie schnell und vollständig meine Genesung von der beinahe sicheren Zerstörung vonstattengegangen war –, musste ich die Möglichkeit, dass mir das wirklich nicht ohne Grund passiert war, einfach ernst nehmen. Das gab mir nur ein noch größeres Gefühl der Verantwortung, meine Geschichte richtig zu erzählen.
Ich bin immer stolz darauf gewesen, die neueste medizinische Literatur in meinem Bereich gelesen zu haben und auch meinen Beitrag dazu zu leisten, wenn ich etwas von Wert hinzuzufügen hatte. Dass ich aus dieser Welt in eine andere katapultiert worden war, war eine Nachricht – eine echte medizinische Nachricht. Und nun, wo ich zurück war, hatte ich nicht vor, sie schlechtzumachen. Aus medizi nischer Sicht war die Tatsache, dass ich vollkommen ge nesen war, eine glatte Unmöglichkeit, ein medizinisches Wunder. Aber die eigentliche Geschichte handelte davon, wo ich mich aufgehalten hatte, und es war meine Pflicht, diese Geschichte zu erzählen, nicht nur als Wissenschaftler und jemand, der tiefen Respekt vor wissenschaftlichen Methoden hat, sondern auch als Heiler. Eine wahre Geschichte kann ebenso heilsam sein wie Medizin. Susanna hatte das gewusst, als sie mich an jenem Tag in meinem Büro
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