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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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wurden, den sie als offiziellen Vertreter der gesamten Bevölkerung ansehen konnten.
    Der Hauptgrund, warum Kabo beschloss, dass er Estray Lassils mochte, war der, dass sie, obwohl sie hier diese zweifellos gewichtige offizielle Rolle spielte – schließlich vertrat sie beinahe fünfzig Milliarden Leute –, anscheinend aus einer Laune heraus eine ihrer Nichten mitgebracht hatte, ein sechsjähriges Kind namens Chomba.
    Das Mädchen war dünn und blond und saß still auf dem gepolsterten Rand des zentralen Pools in der runden Hauptlounge des Personalmoduls, während dieses hinausflitzte, um die immer noch die Geschwindigkeit drosselnde Widerstand formt den Charakter zu empfangen. Sie trug Shorts in Dunkelpurpur und eine lässig fallende Jacke in lebhaftem Gelb. Ihre Füße baumelten im Wasser, wo längliche rote Fische um kunstvoll angeordnete Felsen und Kiesbänke herumschwammen. Sie beäugten die wackelnden Zehen der Kleinen mit argwöhnischer Neugier und näherten sich zögernd immer mehr.
    Die anderen standen – oder, in Tersonos Fall, schwebten – in einer Gruppe vor dem Frontbildschirm der Lounge. Der Bildschirm erstreckte sich über die ganze gerundete Wand der Lounge, sodass man, wenn sie voll aktiviert war, den Eindruck hatte, als ob man durch den Raum führe und dabei auf einer großen Scheibe stünde, während eine zweite über einem hing (die Decke konnte ebenfalls als Bildschirm dienen, wie auch der Boden, obwohl manche Leute eine solche Rundumwirkung als unangenehm empfanden).
    Der größte, tiefste Teil des Bildschirm war direkt geradeaus gerichtet, und dorthin blickte Kabo hin und wieder, doch er zeigte nichts anderes als das Sternenfeld, mit einem langsam blinkenden roten Ring, der die Richtung anzeigte, aus der das Schiff sich näherte. Zwei breite Streifen des Masaq’-Orbitals durchquerten den Bildschirm vom Boden zur Decke, und man sah ein heftiges Sturmsystem aus wirbelnden Wolken auf einer überwiegend ozeanischen Platte, doch Kabos Aufmerksamkeit war mehr von dem in gewundenen Linien schwimmendem Fisch und dem menschlichen Kind in Anspruch genommen.
    Eine der Auswirkungen einer Gesellschaft, in der die Leute im Allgemeinen vierhundert Jahre lang lebten und im statistischen Durchschnitt etwas mehr als ein Kind zur Welt brachten, war die, dass man nur von wenig Jugend umgeben war, und da diese Kinder meistens in ihren jeweiligen Bezugsgruppen und selten quer durch die gesamte Gesellschaft verteilt angetroffen wurden, erschien einem ihre Zahl noch geringer, als sie in Wirklichkeit war. In einigen Kreisen wurde es als unvermeidlich hingenommen, dass das gesamte zivilisatorische Verhalten der Kultur auf der Tatsache beruhte, dass jedes menschliche Einzelwesen gründlich, umfassend und einfallsreich schon als Kind durch seine Umgebung verdorben wurde.
    »Keine Angst«, sagte die Kleine zu Kabo, als sie merkte, dass er sie ansah. Sie nickte zu dem träge schwimmenden Fisch hin. »Sie beißen nicht.«
    »Bist du sicher?«, fragte Kabo und kauerte sich auf drei verschränkten Beinen nieder, um mit dem Kopf näher an das Kind heranzukommen. Sie beobachtete diesen Vorgang interessiert, enthielt sich jedoch einer Bemerkung dazu.
    »Ja«, antwortete sie. »Sie essen kein Fleisch.«
    »Aber deine niedlichen Zehen sehen doch so schmackhaft aus«, sagte Kabo in der Absicht, spaßig zu sein, doch gleich darauf befürchtete er, er könnte ihr Angst eingejagt haben.
    Sie runzelte kurz die Stirn, dann schlug sie die Arme um den Körper und lachte prustend. »Du isst keine Leute, oder?«
    »Nur wenn ich schrecklich hungrig bin«, antwortete Kabo mit tiefem Ernst, und sofort verfluchte er sich wieder im Stillen. Allmählich fiel ihm wieder ein, warum er im Umgang mit Kindern seiner eigenen Spezies nie besonders geschickt gewesen war.
    Sie reagierte auf diese Äußerung mit einem etwas ratlosen Gesicht, dann folgte der typisch leere Ausdruck, der verriet, dass jemand eine Neurallitze oder sonst ein Implantat zu Rate zog, und schließlich lächelte sie. »Ihr Homomdaner seid Vegetarier, das habe ich gerade überprüft.«
    »Oh«, sagte er überrascht. »Hast du ein Neuralimplantat?« Soweit er wusste, besaßen Kinder für gewöhnlich so etwas nicht. Üblicherweise erfüllten entsprechendes Spielzeug oder Avataragefährten bei ihnen diese Rolle. Die Ausstattung mit dem ersten Implantat entsprach in etwa einem formellen Ritus des Erwachsenwerdens, jedenfalls bei einigen Teilen der Kultur. Eine andere Tradition

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