Blicke windwärts
bestand darin, von einem sprechenden Kuscheltier über andere, immer weniger kindliche Spielzeuge zu einem geschmackvollen kleinen Pen-Terminal in Form einer Brosche oder eines Schmuckknopfes zu kommen.
»Ja, ich habe eine Litze«, sagte sie stolz. »Ich habe sie mir gewünscht.«
»Sie hat keine Ruhe gelassen, bis sie eine bekommen hat«, erklärte Estray Lassils, die sich an den Beckenrand stellte.
Das Mädchen nickte. »Ich bin weit über die Grenze hinausgegangen, vor der jedes brave Kind Halt gemacht hätte«, bestätigte sie mit tiefer Stimme, die wahrscheinlich männlich klingen sollte.
»Chomba strebt eine Neudefinierung des Begriffs ›altklug‹ an«, bemerkte Estray Lassils und fuhr dabei durch die kurzen blonden Locken des Kindes. »Bisher mit beachtlichem Erfolg.« Das Mädchen duckte sich unter Estrays Hand weg und schnalzte mit der Zunge. Ihre Füße platschten im Wasser und trieben den kreisenden Fisch weiter weg.
»Ich hoffe, du hast zu Botschafter Kabo Ischloear artig guten Tag gesagt«, ermahnte Estray das Kind. »Du warst ungewöhnlich schüchtern, als ich dich vorhin vorgestellt habe.«
Das Mädchen seufzte theatralisch und richtete sich im Wasser auf, streckte eine winzige Hand aus und ergriff die riesige Pranke, die Kabo ihr darbot. Sie deutete einen Knicks an. »Br. Kabo Ischloear, ich bin Masaq’-Sintriersa Chomba dam Palcope. Wie geht es Ihnen?«
»Mir geht es gut«, antwortete Kabo und neigte den Kopf. »Und wie geht es dir, Chomba?«
»Sie kann zufrieden sein, im Wesentlichen jedenfalls«, antwortete die Frau an Stelle der Kleinen. Chomba verdrehte die Augen.
»Wenn ich mich nicht irre«, sagte Kabo, an das Kind gewandt, »hat deine Altklugheit noch nicht den Grad erreicht, dass du dir einen entsprechenden Beinamen zugelegt hättest.«
Das Mädchen setzte ein Lächeln auf, das vermutlich schlau wirken sollte. Kabo fragte sich, ob er vielleicht zu umständlich gesprochen hatte.
»Sie lässt uns wissen, dass sie einen hat«, erklärte Estray und musterte dabei das Kind mit zusammengekniffenen Augen. »Sie verrät ihn aber jetzt noch nicht.«
Chomba hob die Nase in die Luft und wandte feixend den Blick ab. Dann grinste sie Kabo breit an. »Haben Sie Kinder, Botschafter?«
»Bedauerlicherweise nein.«
»Dann sind Sie also ganz allein hier?«
»Ja, bin ich.«
»Fühlen Sie sich nicht einsam?«
»Chomba!«, tadelte Estray Lassils sanft.
»Schon gut. Nein, ich fühle mich nicht einsam, Chomba. Ich kenne zu viele Leute, um einsam zu sein. Und ich habe sehr viel zu tun.«
»Was tun Sie denn?«
»Ich forsche, ich lerne, ich berichte.«
»Worüber? Über uns?«
»Ja. Ich versuche schon seit vielen Jahren, die Menschen im Besonderen und damit vielleicht sämtliche Wesen im Allgemeinen zu begreifen.« Er spreizte unbeholfen die Hände und bemühte sich, ein Lächeln zustande zu bringen. »Diese Aufgabe ist noch nicht abgeschlossen. Ich schreibe Artikel und Essays und Gedichte, die ich in meine Ur-Heimat schicke, um mit meinen bescheidenen Talenten meinen Leuten die Kultur und ihre Bevölkerung nahe zu bringen. Natürlich wissen unsere beiden Gesellschaften weitgehend über die jeweils andere Bescheid, doch dieses Wissen erschöpft sich in trockenen Zahlen und Fakten; manchmal bedarf es jedoch eines gewissen Maßes an Einfühlungsvermögen, um solche Daten richtig auszulegen. Deshalb will ich meine persönlichen Wahrnehmungen weitergeben.«
»Aber ist es nicht komisch für Sie, nur von unseresgleichen umgeben zu sein?«
»Wehren Sie sich, wenn Ihnen das alles zu viel wird, Botschafter«, warf Estray Lassils entschuldigend ein.
»Ist schon in Ordnung. Manchmal ist es komisch, manchmal verwirrend, manchmal sehr aufschlussreich.«
»Aber Sie sind doch vollkommen anders, nicht wahr? Wir haben zwei Beine, Sie haben drei. Vermissen Sie nicht den Umgang mit anderen Homomdas?«
»Nur mit einer Person.«
»Wer ist das?«
»Jemand, den ich einst sehr geliebt habe. Leider hat sie mich nicht geliebt.«
»Ist das der Grund, weshalb Sie hierher gekommen sind?«
»Chomba…«
»Vielleicht ja, Chomba. Entfernung und Andersartigkeit können heilen. Zumindest begegne ich hier niemandem, den ich für einen Augenblick irrtümlich für sie halten könnte.«
»Oh! Sie müssen sie sehr geliebt haben.«
»Wahrscheinlich, ja.«
»Da sind wir«, sagte der Avatar der Nabe. Er schaute in den hinteren Teil der Lounge. In der Wölbung der Bildschirmwand glitt der gedrungene Zylinder der Widerstand
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