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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Himmel dazu benutzte, ihre Position, die Zeit und die Himmelsrichtungen zu berechnen. Das daraus resultierende Wissen machte sich in seiner Existenz fühlbar, zwang sich ihr jedoch nicht auf; es war wie die Anwesenheit von jemandem in einem Vorraum, der sich durch ein höfliches Klopfen an der Tür bemerkbar machte. Sie rief eine weitere Schicht von Daten auf und bekam eine Darstellung des gesamten Firmaments. Plötzlich sah sie ein Gitter, das über den Himmel gespannt war, und darin eingezeichnet waren die Pfade von zahllosen Satelliten und einigen wenigen suborbitalen Transportfahrzeugen, jeweils mit voller Kennzeichnung sowie weiteren vernetzten Detailinformationen. Die Satelliten, deren Bilder langsam aufleuchteten, waren diejenigen, bei denen es Störungen gegeben hatte.
    Dann bemerkte sie ein paar Punkte am östlichen Horizont und wandte sich ihnen zu, wobei sich ihre Augen auf die veränderten Lichtverhältnisse einstellten. In ihrem Innern schlug etwas, das haargenau einem Herzen glich, wie verrückt und so schnell, dass sie für einen Augenblick die Beherrschung darüber verlor. Ein Stück von dem grasbewachsenen Erdklumpen fiel ihr aus der Hand.
    Die Punkte waren Vögel, ein paar hundert Meter entfernt.
    Sie entspannte sich.
    Die Vögel erhoben sich in die Luft, einander zugewandt und heftig mit den Flügeln schlagend. Halb stellten sie sich zur Schau, halb kämpften sie. In der Nähe saß ein Weibchen zusammengekauert im Gras und beobachtete die beiden Männchen. Der wissenschaftliche wie auch der allgemein gebräuchliche Name der Spezies, ihre Maße sowie ihre Flugleistung, ihre Ernährungs- und Paarungsgewohnheiten und eine Vielzahl anderer Informationen über die Geschöpfe schwebten im Hintergrund ihres Gehirns. Die beiden Vögel fielen ins Gras zurück. Ihre Schreie hallten dünn durch die Luft. Sie hatte ihre Stimmen noch nie zuvor gehört, wusste jedoch, dass sie genau so klangen, wie sie klingen mussten.
    Natürlich war es durchaus möglich, dass die Vögel nicht so unschuldig und harmlos waren, wie sie erschienen. Vielleicht waren sie zwar echte, aber mutierte Tiere oder überhaupt keine biologischen Wesen; in jedem Fall mochten sie Teil eines Überwachungssystems sein. Nun, dagegen konnte man nichts machen. Sie würde noch eine Weile abwarten.
    Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Erdklumpen in ihrer Hand zu, hielt ihn sich vor die Augen, sog den Anblick in sich ein. Da waren viele verschiedene Gräser und winzige Pflanzen, die meisten davon in einem blassen Gelbgrün. Sie sah Samen, Wurzeln, Ranken, Blüten, Schoten, Halme und Stiele. Die zutreffende Beschreibung jeder unterschiedlichen Spezies untermauerte deren Existenz im Hintergrund ihres Gehirns und fügte sie in eine umfassende Ordnung ein.
    Inzwischen war ihr auch bewusst, dass die Daten, die sich ihr präsentierten, bereits von einem anderen Teil ihres Gehirns ausgewertet worden waren. Wenn irgendetwas falsch ausgesehen hätte oder deplatziert erschienen wäre – wenn sich diese Vögel zum Beispiel auf eine Weise bewegt hätten, die sie hätte schwerer wirken lassen, als sie tatsächlich waren –, dann wäre ihre Aufmerksamkeit auf diese Anomalie gelenkt worden. Die Daten waren ein fernes, beruhigendes Wissen, das geduldig in den Außenbezirken ihrer Wahrnehmung verharrte.
    Einige wenige winzige Tiere bewegten sich in dem Erdklumpen und auf den Oberflächen der Vegetation. Sie kannte auch deren Namen und wusste Einzelheiten über sie. Sie beobachtete einen blassen, fadendünnen Wurm, der sich blindlings im Humus wand.
    Sie gab dem Boden sein Teilstück zurück, drückte den Erdklumpen wieder in das Loch, das er hinterlassen hatte, und klopfte ihn fest. Sie wischte sich den Schmutz von den Händen, während sie sich erneut umsah. Immer noch deutete kein Anzeichen darauf hin, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Die Vögel in der Ferne erhoben sich wieder in die Luft, dann sanken sie tiefer. Ein warmer Lufthauch wogte über die Grasfläche, umströmte sie und streifte ihr Fell, wo es nicht von der schlichten Lederweste und der Hose bedeckt war. Sie hob den Umhang auf und legte ihn sich um die Schultern. Er wurde ein Teil von ihr, genau wie die Weste und die Hose.
    Der Wind wehte aus Westen. Er frischte auf und trug die Schreie der sich zur Schau stellenden Vögel davon, sodass sie, als sie zum dritten Mal in der Ferne aufstiegen, dies lautlos zu tun schienen.
    Im Wind war lediglich ein Anflug, ein schwacher Hauch von Salz. Das

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