Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
wird dabei ausgezogen und auf einen Bock geschnallt, die Prügel empfängt er auf den nackten Hintern. Schon nach einigen Schlägen spritzt Blut, und manche der Geprügelten brechen ohnmächtig zusammen. Die Prügelstrafe ist eigentlich eine Erfindung der britischen Kolonialherren. Wurde jedoch unter den Briten nur bestraft, wer ein Gewaltverbrechen begangen hatte, setzt es im heutigen Singapur Dresche für alle möglichen Delikte. Man kann bereits für das Sprühen von Graffiti, den Verkauf von Feuerwerk und größere Verkehrsvergehen verprügelt werden. Und selbst, wer sich mehr als neunzig Tage illegal auf der Insel aufhält, darf sich auf einen gutgefüllten Teller Knüppelsuppe freuen.
Überhaupt bestraft man in Singapur gerne jede Lebensäußerung. Auf den Boden spucken oder Papier auf den Boden werfen kostet umgerechnet zweihundertfünfzig bis fünfhundert Euro, im Wiederholungsfall kann Zwangsarbeit verordnet werden. Wer an einem verbotenen Punkt über die Straße geht, zahlt zweihundertfünfzig Euro, wer privat Feuerwerk besitzt oder abfeuert, marschiert gleich für zwei Jahre ins Gefängnis. Als ich in Singapur lebte, stand auf «widernatürlichen fleischlichen Verkehr» nach Paragraph 377 des Singapurer Penal Codes noch bis zu lebenslänglich. Das hieß konkret, jeder konnte damit rechnen, für immer hinter Singapurer Gardinen zu verschwinden, wenn er zu Hause Anal- oder Oralverkehr praktizierte. Erst im Oktober 2007 wurde dieses Gesetz abgeschafft, allerdings nur für Heterosexuelle. Schwule können für ein bisschen Orales und Anales immer noch bis zu zwei Jahre ins Gefängnis wandern.
Als ich Singapur verließ, machte ich jedenfalls drei Kreuze. Das erste wegen des Oralverkehrs, das zweite wegen des staatlichen Kontrolleurs, der immer wieder unangemeldet in unserer Wohnung stand, um den Wasserstand in Blumentöpfen und Vasen zu checken – da sich darin Moskitos vermehren können, ist stehendes Wasser auch in der eigenen Wohnung verboten –, und das dritte wegen einer anderen Sache, über die ich hier nicht reden möchte. Dann machte ich noch ein viertes und ein fünftes. Das vierte, weil ich wusste, dass mir China nach der harten Singapurer Ausbildung wie ein Beispiel an Liberalität vorkommen würde. Das fünfte war für Singapur selbst. Abgesehen von seinen China-Vorschulqualitäten ist es nämlich ein überflüssiges Land, das schleunigst an Malaysia zurückgegeben werden sollte.
Wie hoch die Todesstrafenquote in Relation zu anderen Staaten ist, zeigt ein UN-Report, der in Singapur für den Zeitraum zwischen 1994 und 1999 13,6 Hinrichtungen pro Million Einwohner auswies, sechsmal höher als die Hinrichtungsquote zur gleichen Zeit in China, das allerdings die Welttodesstrafenstatistik in absoluten Zahlen anführt. Anders als im Fall Chinas empörten sich über diesen Rekord höchstens noch entlegene Rockgruppen. So traten 1995 R.E.M. in einem Singapurer Club unter dem Tarnnamen «Mandatory Death Sentence» auf, um das Publikum für die Menschenrechtslage in ihrem Land mit R.E.M.-Musik zu bestrafen.
II Grundschule
2 Franz Lehár ist eine dumme Sau
Auch wenn man in Singapur noch so intensiv für das eigentliche China trainiert, vollständig vorbereitet ist man trotzdem nie. Das musste auch ich begreifen, als es Ernst wurde und ich nach Peking zog. Doch zunächst einmal prasselten die Glückwunschmails nur so auf mich ein. Dabei versuchten sich meine Freunde gegenseitig mit China-Synonymen zu übertreffen: «Viel Erfolg im Reich der Sonne». «Viel Spaß im Land des Lächelns». «Jetzt soll es also das Reich der Mitte sein.» Nun ist der Gebrauch von Umschreibungen und Synonymen dort, wo sie überhaupt nicht nötig sind, nicht nur des Teufels. Er ist auch meistens falsch.
In diesem Fall war nur das «Reich der Mitte» richtig. So – nämlich «Zhong Guo», «Mitte Reich» – heißt das Land wirklich, und darüber, dass wir es China nennen, regt sich so mancher Pekinger Taxifahrer auf: «Wie kommt ihr Ausländer dazu? Meines Wissens heißt China auf Englisch Porzellan. Wir sagen doch auch nicht zu England PVC oder zu Deutschland Plastik.»
Das «Reich der Sonne» andererseits ist nicht China, sondern Japan. Das sollte man spätestens seit dem schönen Steven-Spielberg-Film «Empire of the Sun» wissen, auch wenn der Film irritierenderweise zu großen Teilen in Shanghai spielt. Und das «Land des Lächelns» ist erst mal eine Operette von Franz Lehár. Die spielt tatsächlich in
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