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Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Titel: Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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loben. Diese Form der chinesischen Musik gefällt mir sehr gut. Mit den klassischen Pekingopern dagegen habe ich meine Probleme. Sie entstammen einer Tonwelt, der ungeübte westliche Ohren nicht lange standhalten. Entschieden problematischer selbst als Pekingopern ist allerdings die chinesische Popmusik, für die sich die hiesige Jugend begeistert. Sie ist süßlich, simpel und oft ziemlich einfältig instrumentalisiert. Warum das so ist, hat sicher noch keiner hinreichend untersucht. Es könnte natürlich an der Tatsache liegen, dass China kurz nach dem Ende der Kulturrevolution unter den Einfluss extrem zweifelhafter westlicher Popmusik geriet. Nachdem im ganzen Land fast zehn Jahre lang nur Revolutionslieder und insgesamt acht revolutionäre Modellopern geduldet waren, war der Hunger nach neuen Melodien einfach so groß, dass man sich wahllos für jeden noch so schlimmen Popsong begeisterte, der zufällig ins Land schwappte. Drei dieser Songs sind «Country Roads» von John Denver, «Hotel California» von den Eagles und «Yesterday Once More» von den Carpenters. Zusammen mit dem erst später dazugekommenen «Lemon Tree» der deutschen Band Fool’s Garden und dem Titanic-Film-Song «My Heart Will Go On», gesungen von Celine Dion, bilden sie die «fünf ewigen» westlichen Popsongs in den chinesischen Charts. Das heißt, sie liegen wie eine Klangglocke über dem Land, man hört sie seit Jahren wieder und wieder in Supermärkten und in Bussen, aus Lautsprechern auf der Straße oder in Karaokebars.
    Wie und wann diese Songs genau nach China kamen, ist weitgehend ungeklärt. Am meisten weiß man über «Country Roads». Eine Quelle behauptet, der Song sei noch vor Ende der Kulturrevolution nach China gelangt. Danach besuchte der chinesische Außenminister Zhou Enlai 1972 auf seiner ersten USA-Reise gemeinsam mit dem damaligen US-Präsidenten Nixon ein Konzert von John Denver. Zhou soll das Konzert so gut gefallen haben, dass er sich anschließend mit fünfhundert Kassetten eindeckte, auf denen sich unter anderem «Country Roads» befand. So steht es jedenfalls im großen Märchenbuch des 21. Jahrhunderts, Wikipedia, geschrieben. Allerdings habe ich nirgendwo eine Bestätigung für diese Geschichte gefunden, und es kommt mir doch etwas seltsam vor, dass ausgerechnet der chinesische Außenminister Country-Pop-Kassetten unter das Volk gebracht haben soll.
    Verbürgt ist jedoch, dass John Denver sieben Jahre später für Deng Xiaoping sang, als dieser in den USA weilte. Deng, der auf dieser Reise sogar ein Rodeo besuchte und einen Cowboy-Hut trug, war sofort von «Country Roads» begeistert. Einige westliche Chinaexperten vermuten, dass älteren chinesischen Politikern und Militärs der Song auch deshalb so gut gefällt, weil er sie an den Langen Marsch der chinesischen Roten Armee erinnert. So war John Denver auch der erste ausländische Popmusiker, der 1992 eine echte Tournee durch China machen durfte. Der erste westliche Popmusiker, der überhaupt in China auftrat, war seltsamerweise George Michael, der 1985 mit seiner damaligen Band Wham! im Worker’s Gymnasium zu Peking spielte. Das Konzert war eine Weltsensation, hat aber kaum Spuren hinterlassen. «Wake me up before you gogo» ist jedenfalls in chinesischen Sphären nur selten zu hören. Dafür wurde der Song 2004 noch einmal in Japan gecovert. Es sind eben manchmal sehr verschlungene Wege, die die Popmusik geht. Einen solchen legte auch der alte Eagles-Hit «Hotel California» zurück, der wahrscheinlich von den Hippiestränden Thailands oder Balis nach China geschwemmt worden ist, schließlich haben die Eagles auf chinesischem Boden erst 2004 zum ersten Mal gespielt. Trotzdem gilt vielen Chinesen «Hotel California» als die eigentliche amerikanische Nationalhymne. Als im Frühjahr 2001 chinesische Abfangjäger ein US-amerikanisches Spionageflugzeug zur Landung zwangen, befahlen die chinesischen Soldaten ihren Gefangenen, «Hotel California» zu singen. Erst als die Besatzung des Flugzeugs dem Befehl gefolgt war, sollen die Chinesen überzeugt gewesen sein, wirkliche Amerikaner gefangen genommen zu haben. Die schlimme Titanic-Hymne aus dem Mund von Celine Dion kam mit dem schlimmen Film nach China, der seinerzeit das Land im Sturm erobert hat. Selbst der damalige Partei- und Staatschef Jiang Zemin empfahl seinen Genossen in einer Rede vor dem Nationalen Volkskongress, sich den Film anzusehen und von ihm zu lernen – wahrscheinlich, wie man die Kollision mit

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