Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Eisbergen vermeidet. Neben dem Original des Titelsongs wird übrigens auch die Coverversion des Schlafzimmersaxophonisten Kenny G. in China sehr geschätzt. Diesen Trötisten verehren die Chinesen wie einen musikalischen Buddha. Deshalb hat er auch versprochen, 2009 für einige Zeit nach Shanghai zu ziehen, um dort eine Schule zu eröffnen, wo er seine Musikreligion lehren will. Die Schlafzimmermöbelindustrie in der Neunzehn-Millionen-Stadt ist vor Begeisterung wahrscheinlich schon ganz aus dem Häuschen.
Weiterhin ungeklärt aber ist der Erfolg von «Lemon Tree» und «Yesterday Once More». Die Carpenters sind schon insofern ein Sonderfall, weil es sich ja bei ihnen im Gegensatz zum schrecklichen Rest um gute Popmusik handelt. Doch auch ein eigentlich sehr schöner Song wie «Yesterday Once More» geht unweigerlich kaputt, wenn man ihn fünfzigmal am Tag spielt.
Allerdings springen die Chinesen mit ihrer eigenen Popmusik nicht anders um. Um die ist es auch nicht weiter schade, denn bis auf ein paar Ausnahmen (die phantastische Sängerin Faye Wong, der Rockmusiker Xu Wei, einige frühe Stücke des Taiwanesen Jay Chou und der Band Fir) ist sie von zuckerwattiger Konsistenz. Einer der penetrantesten Songs ist «Mäuse lieben Reis», ein Hit, der seit 2001 aus dem chinesischen Musikuniversum nicht mehr wegzudenken ist. Komponiert wurde das Lied von dem singenden Buchhalter Yang Chengang. Wahrscheinlich hätte die Zentralregierung das Lied wegen offensichtlicher Dämlichkeit gerne verhindert, denn im Radio wurde es zunächst nicht gespielt. Aber gegen das Internet ist selbst ein autoritäres Regime machtlos.
Heute gibt es rund zehn verschiedene Versionen des Songs in etlichen asiatischen Sprachen, und der clevere Buchhalter ist längst Millionär. Dabei ist das Stück sowohl textlich («Ich liebe dich, so wie eine Maus Reis liebt») als auch musikalisch eine schwere Menschenrechtsverletzung. Man fragt sich, weshalb die CIA, die ja bekanntlich gerne mit Pop- und Rockmusik foltert, diesen Song nicht bei ihren Verhören in Afghanistan und Guantánamo eingesetzt hat. Jeder Gefangene hätte wohl alles gestanden.
Dagegen ist chinesische Rock- und Punkmusik viel besser zu ertragen. Hier sind es eher die Musiker selbst, die nerven. So war der erste chinesische Rockmusiker ein Mann namens Cui Jian, Mitte der Achtziger begründete er dieses Musikgenre hierzulande. Und genau damit fängt die Nerverei schon an. Jeder englischsprachige Journalist nämlich, der in den letzten zwanzig Jahren über chinesische Rockmusik geschrieben hat, musste Cui Jian als den «Godfather of Chinese Rock» bezeichnen. Dabei ist Cui Jian eigentlich recht liebenswürdig und hat sicher noch nie jemandem einen Pferdekopf ins Bett gelegt, geschweige denn einen seiner Mitrocker umgebracht. Außerdem macht er schon längst unbedeutende Welt- und Schrebbelmusik und ist ein guter Freund von Udo Lindenberg, mit dem er sich den Hang zum Kopfbedeckungtragen (Udo: Hut; Cui Jian: Basecap) teilt. Nur, davon ist nie die Rede.
Cui Jian kann letztlich nichts für die penetrante Stilisierung durch andere. Das ist bei den neueren chinesischen Punk-, Avantgarde- und Rockbands anders. Sie gebärden sich gern als Außenseiter, die gezwungen sind, im Untergrund zu leben. «Wir brauchen diese schlechten Bedingungen und die deprimierende Atmosphäre», erzählt Wang Yue von der Pekinger Frauenband Hang On The Box in dem Dokumentarfilm «Beijing Bubbles», «um richtig gute Musik machen zu können». Und die Musiker der ansonsten sehr guten Punk-Gitarrenband Joyside antworten auf die Frage eines kanadischen Journalisten, weshalb sie in ihren Texten keine Systemkritik transportieren, es drohe ihnen in diesem Falle: «Gefängnis, Tod.»
Das ist natürlich Blödsinn, denn es gibt genug Bands in China, die aufmüpfige Texte singen. Die Pekinger Skinhead-Band Mi San Dao singt praktisch nur davon, dass sie das hiesige System zu penetrieren trachtet: «Policeman, Fuckingman» heißt es in ihren Texten, oder: «You are a dog, you are a fucking machine. You are working for the fucking government.» Mi San Dao spielen diese Songs schon seit Jahren unbehelligt in Pekinger Lokalen. Auch sah ich in Peking schon Punks mit Lederjacken rumlaufen, auf denen «Kill The Chairman» geschrieben stand. Zugegeben, der Chairman ist schon länger tot, und die bösen Texte sind auf Englisch, weshalb sie ein durchschnittlicher Polizist nicht versteht. Trotzdem scheint sich der hiesige
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