Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Repressionsapparat nicht groß um die chinesischen Punks zu kümmern. Sie können es sich sogar leisten, vor westlichen Kameras zu kiffen, was die Lunge hergibt. In Staaten wie Singapur oder Malaysia sähe man sich für solcherlei Leichtsinn sehr schnell ein Gefängnis von innen an.
Auch wirtschaftlich geht es den Punk- und Avantgardebands nicht schlecht, zumindest besser als jedem Wanderarbeiter in Peking. Manche Bands haben sogar inzwischen einen Plattenvertrag mit ausländischen Labels, und die meisten sind schon durch die USA, Deutschland, Frankreich, England oder Skandinavien getourt. Dort wird ihnen jedes Mal eine Medienaufmerksamkeit zuteil, die Bands aus Europa oder den USA bei gleicher Qualität und musikalischer Orientierung nie erhalten würden. Doch die chinesischen Musiker kommen ja direkt aus dem Untergrund, wo sie täglich um Freiheit oder Leben bangen müssen.
Im Westen weiß man offenbar nicht, dass in China Punk und Artverwandtes gerade im Begriff stehen, im Mainstream anzukommen. Zwar wird die Musik immer noch sehr selten im Radio gespielt und kommt im Fernsehen gar nicht vor. Doch dafür sind die Punks anderswo umso präsenter. Die Band AK-47 wurde ausführlich in dem drögen Mainstream-Unterhaltungsfilm «All About Women» des Regisseurs Xu Ke gefeatured. Die Subs waren auf dem Cover des chinesischen Rolling Stone, und Joyside-Sänger Bian Yuan schaute im Sommer 2008 von riesigen Converse-Werbeplakaten auf uns Pekinger herab. Andere Pekinger Punks haben in den letzten Jahren gutgehende Boutiquen aufgemacht oder arbeiten als Redakteure für den Hongkonger Musiksender Channel V. Trotzdem wird eifrig weiter in Kameras hinein erklärt, dass man auf Gesellschaft, Geldverdienen und Konsum pfeife. Auch wenn sich dieser Unsinn kaum von dem unterscheidet, den Jugendliche im Rest der Welt zu erzählen neigen, geht er mir auf meine zusehends empfindlicher werdenden Nerven.
Nur ab und zu setze ich mich in ein Taxi und fahre ins D-22, den besten Club der Stadt. Hier lasse ich mir dann ein paar Stunden lang von den Hausbands Carsick Cars, Queen Sea Big Shark oder den phantastischen Joyside die Ohren volldröhnen. In richtig guten Nächten schleudert mich ihre Musik so weit in der Zeit zurück, dass auch ich wieder jung und dumm bin, jedenfalls ein bisschen.
Manchmal gehe ich aber auch zusammen mit meiner Dolmetscherin und ihrer Familie zum höchst beliebten Karaoke. Und ob man’s glaubt oder nicht: Hier kann man mich dann sogar selbst singen hören. «Country Roads» zum Beispiel und, ja, ich geb’s zu, «Mäuse lieben Reis». Natürlich singe ich diese Lieder nicht, weil sie mir gefallen. Aber nach Jahren der Gehirnwäsche sind es einfach die einzigen, die ich singen kann, ohne mich mehr als nötig zu blamieren. Außerdem tut es gut, wenn ich wenigstens in der Karaokekabine einmal zurücknerven kann.
10 Im freien Osten
Von Deutschen werde ich immer wieder gefragt, ob ich denn hier in China auch ordentlich unter der Zensur zu leiden habe? Ich frage dann zurück: Welche Zensur? Was die schönen Künste betrifft, ist China wohl das freieste Land der Welt. Viel freier jedenfalls als Deutschland.
Das gilt besonders für den Film. Auf DVD gibt es hier alles: das Neueste aus Hollywood, aus Japan oder Indien, aber auch entlegenes, altes Zeug; bis hin zu Charles-Manson-Dokus, Pasolinis «Salò», dem monumentalen sowjetischen Kriegsfilm «Der Fall von Berlin» – mit Stalin als Gärtner im Kreml; unendlich viel besser als «Der Untergang» – oder dem ausgezeichneten Frühwerk des Österreichers Michael Haneke. Inzwischen habe ich mehr Filme geschaut als in meinem ganzen europäischen Leben, und meine DVD-Sammlung wächst von Tag zu Tag. Damit stehe ich nicht alleine. Ob Ausländer oder Chinese: Jeder, der in China lebt, guckt und sammelt. Ein guter Bekannter besitzt mehr als zehntausend Filme, die er in einem Extra-Zimmer in eigens angefertigten Glasvitrinen hortet: «Die sehe ich mir alle nacheinander an, wenn ich alt bin.»
Natürlich sind das alles Raubkopien, wie nach Schätzungen von Experten rund fünfundneunzig Prozent der DVDs im Lande. Doch man verkauft die Filme ganz offen im Laden, das Stück für achtzig Cent bis zu einem Euro fünfzig, je nachdem, ob es sich um eine DVD-5 oder um eine DVD-9 handelt. Da kann sich jeder nach seinen Bedürfnissen mit Filmen versorgen und sie dann nach seinen Fähigkeiten weggucken. Das gilt auch für Filme, von denen die westliche Presse meldet, sie
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