Blind Date mit Folgen - Roman
inzwischen abgebrannte Zigarette im Aschenbecher aus und zündete sich eine neue an. Nach ein paar tiefen Zügen fühlte er sich wohler. Er nahm wieder seine Denkerstellung ein. Das Gesicht auf die Hände gestützt, starrte er auf die exzessive Form der schwarzen Holzskulptur, die in der rechten Ecke beim Bett stand. Ein übergroßes Abbild des alten, ägyptischen Sonnengottes Ra, einer Fratze ähnlich. Vor drei Jahren hatte er es in einem Antiquitätenladen entdeckt und sogleich gewusst, dass es perfekt in seinen Loft passte. Es war die einzige Dekoration in seinen vier Wänden; Sven hasste jeglichen Überfluss, seine Wohnung – in der sich der Wohn- und Schlafbereich sowie die Küche in einem einzigen riesigen Raum befanden – zeichnete sich durch einen reinen, puristischen Stil aus, die Möbel waren wie seine Garderobe allesamt in schwarz gehalten.
Maira. Seine Maira. Wie naiv sie doch war. Unendlich naiv. Die einzige Person, aus der er sich auf dieser Welt etwas machte, war so verblödet naiv. Aber er liebte sie. Und wie. Das war schon immer so gewesen. Er war verrückt nach ihr. Maira ahnte natürlich nicht im Entferntesten von seinen Empfindungen, er hatte seine Gefühle stets überspielt und sich nie zu einem Geständnis hinreißen lassen. Er wollte den richtigen Moment abwarten. Wie lange kannten sie sich nun bereits? 12, 14 Jahre? Der perfekte Zeitpunkt war bisher noch nicht gekommen. Sie mochte ihn sehr, vielleicht liebte sie ihn auch. Aber als einen guten Freund und nicht so, wie er sich ihre Liebe wünschte. Niemals.
Außer einem einzigen Kerl hatte sie nie jemandem nahe gestanden, und der war tot. Wie hatte er diesen Yaron gehasst! Die Briefe, die Maira ihm aus Israel von ihrer neuen Liebe schrieb, hatte er ungelesen weggeschmissen. Das war die schlimmste Zeit seines Lebens gewesen. Wie hatte er den Tag bejubelt, als ihm Maira, zurück in der Schweiz, von Yarons tödlichem Unfall erzählte. Er wusste, jetzt würde alles anders. Sein Leben hatte wieder einen Sinn bekommen.
Doch die Zeit war noch nicht reif. Maira war viele Monate blind vor Trauer gewesen und hätte ihn abgewiesen. So spielte er den fürsorglichen Freund noch intensiver, während er sein Geheimnis hütete und auf seine Chance lauerte.
Inzwischen waren Jahre vergangen und er wartete immer noch. Er war aber nicht untätig. Wie unsichtbares Efeu rankte er sich um seine Angebetete; in immer regelmäßigeren Abständen schenkte er ihr kleine Aufmerksamkeiten, führte sie ins Restaurant aus, ging mit ihr Shoppen, machte ihr Komplimente, war ihr Seelentröster, kümmerte sich in ihrer Abwesenheit um ihre Tiere, füllte ihre Steuererklärung aus, lieferte ihr Ideen für ihre Kolumnen und, und, und. Kurzum: Er verankerte sich immer fester in ihrem Leben mit dem einen Ziel, sich für sie unentbehrlich zu machen. Er hatte sie an dem Punkt, wo sie ihm blind vertraute, und der Schritt zur völligen Verschmelzung war nicht mehr fern. Natürlich hatte er auf dem Weg höllische Qualen gelitten. Beherrscht von rasender Eifersucht war er genötigt, ihren Geschichten über Ferienflirts zu lauschen, von denen sie, seit er sie kannte Gott sei Dank nur zwei erlebte. Wie oft schon wollte er ihr seine Liebe offenbaren! Die Vorstellung, Maira könnte mit einem anderen Mann intim sein, war mehr als er ertragen konnte. Nur die Gewissheit, dass sie für niemanden ernsthafte Gefühle hegte und er ihr von allen Menschen am nächsten stand – abgesehen von der zickigen aber harmlosen Eveline –, ließ ihn weiter ausharren. Er war der Richtige für sie. Der Moment würde bald kommen und sie würde es begreifen. Dann würden sie sich stürmisch küssen und endlich miteinander schlafen. Mit diesem Gedanken zog er nochmals tief an der Zigarette und drückte sie dann aus. All die Jahre hatte er es irgendwie fertiggebracht, sein Verlangen nach ihr im Zaum zu halten. X-fach war er kurz davor gewesen, sie an sich zu ziehen und in die Arme zu nehmen, aber sie wandte sich immer ab, bevor er ihr ganz nah kommen konnte. Unzählige Male. Unzählige Male hatte er sich seine Fingernägel in die Haut gepresst, manchmal bis es blutete. Sein Verlangen nach ihr war so stark, dass es weh tat, und um manchmal nicht laut aufzuschreien, fügte er sich diese Verletzungen zu.
Sven sah an sich herunter und bemerkte die frischen Wunden und die gerötete Haut auf seinem durchtrainierten Bauch. Das Gespräch mit Maira hatte ihn sehr aufgewühlt. Gerade jetzt, wo alles so gut lief, musste
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