Blind ist der, der nicht lieben will
„Überleben sollen? Kämpfen sollen? Seine Hilfe annehmen?“
Connor schüttelte erneut den Kopf. „Er trinkt meinetwegen, Nick. Wie soll ich mir denn daran nicht die Schuld geben?“
Nick schüttelte den Kopf, als er Rachel und Will hinter Connor auftauchen sah, die zwar nicht sehr begeistert aussahen, aber auf seinen bittenden Blick hin wieder kehrtmachten, damit er sich in Ruhe mit Connor unterhalten konnte. Dabei wollte Nick eigentlich nur noch ins Bett, denn er tat seit Stunden nichts Anderes mehr, als sich mit den verschiedenen Mitgliedern von Tristans Familie auseinanderzusetzen, der in seinem alten Zimmer lag und vermutlich immer noch die Decke anstarrte.
Das hatte er zumindest vorhin gemacht, als Nick zuletzt nach ihm gesehen hatte. Im Augenblick ging es Tristan dank einem leichten Beruhigungsmittel von seinem Vater soweit ganz gut, zumindest rein körperlich gesehen, aber das würde sich noch diese Nacht ändern, und über das Seelische wollte Nick jetzt nicht nachdenken. Es war in seinen Augen schon erstaunlich genug, dass Tristan es geschafft hatte, seiner Familie die Wahrheit zu erzählen, ohne dabei einen Nervenzusammenbruch zu kriegen, auf den Connor gerade zusteuerte. Und das konnte Tristan ja nun gar nicht gebrauchen.
„Hilf ihm lieber.“ Nick schüttelte den Kopf, als Connor etwas sagen wollte. „Zeig ihm, dass du für ihn da bist. Er braucht dich jetzt, wie du ihn damals brauchtest. Wenn du dich weiterhin selbst zerfleischst, macht das alles nur noch schlimmer für ihn. Gib ihm keinen Grund, sich Sorgen um dich machen zu müssen. Das kann er im Moment nicht verkraften.“
Connor atmete ein paar Mal tief durch, dann nickte er und warf ihm danach einen fragenden Blick zu. „Hast du etwas dagegen, wenn ich die Nacht bei ihm verbringe?“
Was sollte denn die Frage? Nick sah Connor verblüfft an. „Warum sollte ich etwas dagegen haben?“ Connor zuckte die Schultern und grinste verlegen. „Con, du bist echt doof. Nein, ich habe nichts dagegen. Ganz im Gegenteil. Und wenn es...“ Nick brach ab, weil er nicht wusste, wie er sich ausdrücken sollte, beziehungsweise, wie viel er Connor heute Nacht noch zumuten konnte.
„Ich wecke euch, wenn die Entzugserscheinungen zu heftig werden. Das weiß ich im Groben alles noch von Dans Entzug, und so groß ist der Unterschied anfangs nicht.“
Nick sah Connor überrascht an und schalt sich im nächsten Moment einen Idioten. „Sorry. Ich vergesse immer, dass du das alles schon hinter dir hast.“ Connor grinste schief, was Nick dazu brachte, sich vorzubeugen und Tristans Bruder in seine Arme zu ziehen. „Wir schaffen das. Er wird zwar versuchen, uns die Hölle heißzumachen, aber seit wann lassen wir uns denn von Kleinigkeiten abschrecken? Und überhaupt, wir haben dich Muskelprotz gekriegt, da werden wir doch wohl auch dieses dürre Hemd, pardon, deinen großen Bruder, schaffen.“ Als Connor nach ein paar Sekunden verblüfftem Schweigen an seiner Schulter loslachte, grinste Nick zufrieden.
Fünf Tage später war ihm jedes Grinsen vergangen.
Solange dauerte die Entgiftung von Tristan bereits und Nick war mittlerweile völlig am Ende, obwohl ihm noch mindestens eine Woche mit kaum Schlaf und einem fast ständig gegen ihn und seine Familie ankämpfenden Tristan bevorstand. Vielleicht etwas weniger, wenn dessen Körper den Alkohol weiter so schnell abbaute wie bisher.
Im Moment schlief Tristan, betäubt von Schmerzmitteln, deswegen saß er auch hier unten in der Küche und überlegte, ob er den Kopf einfach auf die Tischplatte legen sollte, um wenigstens eine oder zwei Stunden Schlaf zu kriegen, als die Hintertür aufging und Will aus dem Garten zu ihm in die Küche kam.
„Schläft er noch?“ Nicht mal zu einem Nicken konnte Nick sich aufraffen, stattdessen gaffte er Will einfach nur an und sah dabei vermutlich aus wie ein Zombie. „Du hast noch zwei Tage, dann werfe ich dich raus. Mir reicht ein schwerkrankes Kind im Haus.“
Nick seufzte nur und verschränkte die Arme auf der Tischplatte, um nun wirklich den Kopf darauf abzulegen. Das Thema schon wieder. Er hatte keine Lust auf eine weitere Diskussion deswegen und daher sagte er nichts dazu. Will würde sowieso nicht mit sich handeln lassen, das hatte Nick schon vor zwei Tagen gemerkt, als Tristans Vater ihn sich zur Brust genommen und ihn wie einen kleinen Jungen zusammengestaucht hatte, weil er seit Tagen kaum schlief, zu wenig aß und die meiste Zeit an Tristans Seite verbrachte,
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