Blind ist der, der nicht lieben will
er Tristan vielleicht nicht helfen konnte, oder etwas falsch machte? Was, wenn er aufgab, wie bei seinem Vater? Ihm war klar, dass er die beiden nicht miteinander vergleichen konnte, aber Nick tat es trotzdem und schämte sich dafür. Tristan war nicht sein Vater. Den hatte er am Ende nur noch gehasst, während Tristan der wichtigste Mensch in seinem Leben war.
Daniel schien ihm den inneren Kampf anzusehen, denn auf einmal fand er sich in dessen Armen wieder. Nick zuckte zusammen, worauf Daniel anfing, ihm behutsam über den Rücken zu streicheln, was ihn schließlich dazu brachte, die Umarmung zu erwidern und vor allem zu vertiefen, weil es ihm guttat und ihm ein Gefühl von Sicherheit gab.
„Du schaffst das, Nick Kendall“, sagte Daniel nach einiger Zeit aufmunternd. „Für dich, für Tristan, aber ganz besonders für diese inneren Dämonen, über die du noch nicht reden kannst. Er braucht dich und du brauchst ihn auch. Ihr könnt euch gegenseitig helfen, du musst es nur zulassen. Und wenn du irgendwann doch noch reden willst, mein Angebot steht.“
Die letzten Worte ließen Nick lächeln, weil er nichts Anderes erwartet hatte. „Ich weiß, und eines Tages komme ich bestimmt darauf zurück, aber jetzt noch nicht.“
Daniel löste sich von ihm und sah ihn an, bevor er die Schultern zuckte und meinte, „Kein Problem. Ich kann warten.“
Am Abend, als sie im Haus von Tristans Eltern alle zusammen beim Abendessen saßen, bemerkte er das leichte Zittern in dessen Händen zum ersten Mal. Nick sagte nichts, im Gegenteil, er half Tristan sogar dabei, es vor seiner Familie zu verheimlichen, was ihm von Daniel einen missbilligenden Blick einbrachte, den niemand sonst bemerkte und den er ignorierte. Nick wusste, dass Daniel sein Wort halten und schweigen würde, genauso wie ihm klar war, dass Daniel nicht mit seiner Entscheidung einverstanden war, es Tristan zu überlassen.
Aber je länger der Abend andauerte und die Anspannung in Tristan für ihn, jetzt wo er darauf achtete, immer sichtbarer wurde, umso mehr fragte sich Nick, ob Daniel nicht doch Recht hatte. Tristan versuchte mit aller Macht, seinen Zustand vor ihm zu verbergen, dabei wusste er genau, dass das in seinem Fall sinnlos war. Nick hatte viel Zeit mit dem Trinker verbracht, der sein biologischer Vater gewesen war, er kannte alle Anzeichen eines beginnenden Entzugs, und spätestens morgen früh würde das auch vor Tristans Familie nicht mehr zu verbergen sein.
Nick folgte Tristan, als der nach draußen ging, um etwas frische Luft zu schnappen, und fand ihn im hintersten Teil des von Rachel liebevoll angelegten Gartens vor einer Wildrosenhecke, auf seine Hand starrend, die sichtbar zitterte. Als Tristan ihn bemerkte, ballte er seine Hand zur Faust und drehte ihm den Rücken zu, wovon Nick sich nicht abhalten ließ.
„Ich weiß genau, was du durchmachst. Du musst vor mir nicht den harten Kerl spielen. Ist dir übel? Hast du Schmerzen?“ Er erhielt keine Antwort. „Tristan, lass mich helfen.“
„Mir ist übel“, gestand der leise ein, woraufhin Nick schweigend hinter ihn trat und Tristan umarmte, was den zusammenzucken ließ.
„Schließ mich nicht aus“, bat er flüsternd und drehte Tristan zu sich herum, der daraufhin sofort den Blick abwandte, aber Nick zog sein Gesicht wieder zu sich, nur um dann die nächsten Symptome zu entdecken, die sich auf ewig in sein Gehirn gebrannt hatten. Fahle Haut, trockene und bereits etwas aufgesprungenen Lippen. Außerdem schien Tristan mit dem Licht Probleme zu haben, so wie er gerade gegen das der Solarlampen blinzelte, die Will im gesamten Garten verteilt hatte. Sein Vater hatte häufig an Sehstörungen gelitten, daran erinnerte Nick sich ebenfalls.
„Wann hast du das letzte Mal etwas getrunken?“
„Im Theater.“ Tristan schämte sich, das war deutlich zu sehen. „Die Wasserflasche. Da war kein Wasser drin.“
„Du trinkst direkt vor meiner Nase?“
Tristan schwieg und Nick seufzte leise, während er seinem Freund gleichzeitig beruhigend über den Rücken fuhr. Jedes weitere Wort darüber wäre jetzt zuviel gewesen, das wusste er, außerdem würde Tristan schon bald weitaus größere Probleme haben. Wie er es auch drehte und wendete, es brachte nichts, noch länger zu warten. Nick stöhnte innerlich auf. Er hatte Tristan die Entscheidung wirklich selbst überlassen wollen, wie er es seiner Familie erzählte, nur würden ihm die Entzugserscheinungen spätestens morgen einen Strich durch die
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