Blind
und der großen zitternden Blutlache, in der sie lag.
Er schaute an Marybeth vorbei und sah, wie sich Craddock gerade aus dem aufgerissenen Mund seines Vaters stemmte. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Mit einer Hand stützte er sich auf Martins Stirn ab, mit der anderen auf seiner Schulter. Als er seine Hüfte herauspresste, sah sie aus wie ein verdrehtes Seil – wieder musste Jude an zusammengeknüllte Klarsichtfolie denken. Sie füllte Martins Mund ganz aus und schien bis auf den Grund seines Rachens zu reichen. Beim Einstieg hatte Craddock wie ein Soldat ausgesehen, der in ein Schützenloch springt, beim Ausstieg sah er aus wie einer, der bis zur Hüfte in zähklebrigem Dreck steckt.
Du wirst sterben, sagte der alte Mann. Die Schlampe wird sterben du wirst sterben wir werden alle zusammen auf der Straße der Nacht unterwegs sein du willst la la la singen ich bring's dir bei das Singen ich bring's dir bei.
Jude tauchte die Hand in Marybeths Blut, machte sie bis zum Handgelenk nass und drehte sich wieder um. In seinem Kopf war nicht ein einziger Gedanke. Er war eine stumpfsinnig vorwärtskriechende Maschine. Er fing wieder an zu malen, beendete den oberen Teil der Tür, rutschte herum, fing mit einer dritten Linie an und arbeitete sich zurück zu Marybeth. Es war eine primitive Schlangenlinie, an manchen Stellen dick, an anderen kaum mehr als verschmierte Kleckse.
Den unteren Teil der Tür bildete das Blut selbst. Als er die Lache erreichte, schaute er Marybeth ins Gesicht. Die Vorderseite ihres T-Shirts war blutdurchtränkt, das Gesicht bleich und ausdruckslos. Einen Augenblick lang glaubte er, dass es zu spät war, dass sie schon tot war. Aber dann bewegten sich ihre Augen, ganz leicht, blickten durch einen stumpf glänzenden Schleier auf ihn, wie er auf sie zukroch.
Craddock stieß einen verzweifelten Schrei aus. Er hatte sich inzwischen bis auf sein rechtes Bein aus Martins Schlund gezogen und wollte aufstehen, hing aber noch mit einem Fuß fest und geriet dadurch aus dem Gleichgewicht. In einer Hand hielt er die halbmondförmige Klinge, an der die glänzende Kette hin- und herbaumelte.
Jude wandte ihm wieder den Rücken zu und schaute auf die Tür aus Blut. Benommen starrte er auf die schiefen roten Linien, auf den leeren Kasten, in dem sich nur ein paar scharlachrote Handabdrücke befanden. Etwas stimmte noch nicht, und er grübelte darüber nach, was noch fehlte. Dann fiel es ihm ein. Eine Tür war keine Tür, wenn man sie nicht öffnen konnte. Er streckte die Hand aus und malte als Türknauf einen Kreis hinein.
Craddocks Schatten fiel auf ihn. Konnten Geister Schatten werfen? Jude wunderte sich. Er war müde und kaum in der Lage zu denken. Er kniete auf der Tür und spürte, wie von der anderen Seite etwas dagegenhämmerte. Es war, als wollte der immer noch unablässig und heftig peitschende Wind durch das Linoleum ins Haus gelangen.
Eine helle Linie schien entlang der rechten Türkante auf, ein grell leuchtender weißer Lichtstreifen. Wieder schlug etwas von unten gegen die Tür, ein Berglöwe, der unter dem Boden in der Falle saß. Der dritte Schlag. Wie die beiden ersten donnernd, dröhnend. Das Haus erzitterte, und die Teller in der Plastikablage neben dem Spülbecken schepperten. Jude spürte, dass seine Ellbogen nachgaben. Warum sich noch mit allen vieren dagegenstemmen? Es war ohnehin zu viel für ihn. Er ließ sich auf die Seite fallen, rollte von der Tür herunter und blieb auf dem Rücken liegen.
Craddock stand in seinem schwarzen Totenanzug vor Marybeth. Der Kragen stand auf einer Seite schief ab, der Hut war verschwunden. Aber er ging nicht weiter.Er war abrupt stehen geblieben und betrachtete argwöhnisch die vor seinen Füßen aufgemalte Tür – als wäre sie eine geheime Falltür, durch die er, hätte er noch einen Schritt gemacht, nach unten gefallen wäre.
Was ist das? Was hast du da gemacht?
Als Jude sprach, schien seine Stimme wie bei einem Bauchrednertrick von weit her zu kommen. »Die Toten holen die Ihren zu sich, Craddock. Früher oder später holen sie die Ihren zu sich.«
Die unförmige Tür wölbte sich nach oben und zog sich dann wieder in den Boden zurück. Wieder schwoll sie an. Es schien fast so, als atmete sie. Der Lichtstreifen raste an der oberen Türkante entlang. Er war so hell, dass man ihn nicht direkt anschauen konnte. Er erreichte die Ecke und raste an der anderen Seite nach unten.
Der Wind blies schärfer, lauter als jemals zuvor, ein hohes,
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