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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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rausgeschmissen. Hat sie anscheinend nicht besonders verkraftet.«
    »Was meinst du mit gaga?«
    »Ich meine damit manisch-depressiv. Wenn sie manisch war, dann war sie eine Granate im Bett, wenn sie depressiv war, dann war sie etwas sehr anstrengend.«
    »Sie hatte psychische Probleme, und du hast sie einfach rausgeschmissen?«
    »Ich habe mich nicht vertraglich verpflichtet, ihr für den Rest des Lebens das Händchen zu halten. Übrigens genauso wenig wie bei dir. Und ich sag dir noch was, Georgia. Wenn du glaubst, du bist hier in irgendeinem Scheißmärchen, und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende, dann bist du verdammt falsch gewickelt.« Während er sprach, wurde ihm bewusst, dass das die Chance war, ihr so lange wehzutun, bis sie abhaute. Er hatte, das begriff er jetzt, die Unterhaltung in diese Richtung gelenkt. Wenn er sie so böse verletzen konnte, dass sie das Haus verließ, und sei es nur für kurze Zeit, eine Nacht, ein paar Stunden, dann könnte das das Beste gewesen sein, was er jemals für sie getan hatte.
    »Wie hieß sie? Das Mädchen, das sich umgebracht hat?«
    Er wollte schon Anna sagen, entschied sich aber anders. »Florida.«
    Georgia stand so ruckartig auf, dass sie aus dem Gleichgewicht geriet und hinzufallen drohte. Jude hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um sie zu stützen. Aber er tat es nicht. Besser, sie tat sich weh. Ihr Gesicht war aschfahl. Sie machte einen unsicheren Schritt nach hinten und fing sich. Sie schaute ihn erst verdutzt und verletzt an, dann wurde ihr Blick plötzlich hart, als ob sich ihre Augen auf sein Gesicht scharf stellten.
    »Nein«, murmelte sie. »So einfach verjagst du mich nicht. Und wenn du noch so eklig wirst. Ich bleibe, Jude.«
    Vorsichtig stellte sie das Glas, das sie in der Hand hielt, am Rand des Schreibtischs ab. Sie ging zur Tür, blieb dort stehen und drehte sich halb um. Sie schien außerstande, ihm ins Gesicht zu blicken.
    »Ich gehe jetzt schlafen. Komm dann auch.« Sie fragte nicht, sie stellte fest.
    Jude öffnete den Mund und merkte, dass er nichts zu sagen hatte. Als sie das Zimmer verließ, lehnte er behutsam die Gitarre an die Wand und stand auf. Sein Puls war in die Höhe geschossen, und er fühlte sich etwas unsicher auf den Beinen. Physischer Ausdruck einer Gefühlsregung, die einzuordnen ihn einige Zeit kostete – so fremd war ihm das Gefühl der Erleichterung geworden.
    17
    Georgia war nicht mehr da. Er wusste es sofort. Sie war nicht mehr da, und es war noch Nacht. Er atmete aus, und sein Atem bildete eine weiße Wolke. Er stieß die dünne Bettdecke zur Seite, stand auf und schlang kurz die Arme um sich, bis er wieder zu zittern aufhörte.
    Der Gedanke, dass sie im Haus umherwanderte, beunruhigte ihn. Er war noch ganz benommen vor Müdigkeit. Die Temperatur im Zimmer ging gegen Null. Ein logischer Schluss wäre gewesen, dass Georgia aufgestanden war, weil sie nachschauen wollte, was mit der Heizung nicht stimmte, aber Jude wusste, dass dem nicht so war. Sie hatte schlecht geschlafen, hatte sich hin- und hergewälzt und im Schlaf irgendetwas gebrabbelt. Vielleicht war sie aufgewacht und hatte sich vor den Fernseher gesetzt – aber auch das glaubte er nicht.
    Fast hätte er laut ihren Namen gerufen, besann sich aber eines Bessren. Der Gedanke, dass sie nicht antworten und auf sein Rufen nur lärmende Stille folgen würde, ließ ihn erschauern. Nein. Er würde weder brüllen noch im Haus herumhetzen. Sein Instinkt sagte ihm, wenn er aus dem Schlafzimmer stürzte, durch das dunkle Haus stürmte und nach ihr rief, dann würde er unweigerlich in Panik verfallen. Auch die Dunkelheit und Stille des Schlafzimmers machte ihm Angst. Er begriff, dass er sich davor fürchtete, nach ihr zu suchen, dass er sich davor fürchtete, was ihn jenseits der Tür möglicherweise erwartete.
    Er stand da und hörte plötzlich ein heiseres Rumpeln,das Geräusch eines Motors im Leerlauf. Er bewegte die Augäpfel nach oben und sah, dass die Decke eisig weiß glänzte. Autoscheinwerfer, die von unten aus der Einfahrt ins Zimmer leuchteten. In der Ferne bellten Hunde.
    Jude ging zum Fenster und schob den Vorhang ein Stück zur Seite.
    Der Pick-up vor dem Haus war einmal blau gewesen, hatte aber in den zwanzig Jahren, die er mindestens alt war, nie eine zweite Lackschicht gesehen. Die Farbe glich der von Rauch. Es war ein Chevy, ein Pick-up mit offener Ladefläche. Jude hatte zwei angenehme Jahre für knapp zwei Dollar die Stunde in einer

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