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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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erinnere mich jetzt wieder an viele Sachen.«
    »Warum hast du dich umgebracht?«
    »Er hat mich gezwungen. Der tote Mann. Er hat mich abgepasst. Ich wollte noch mal zurückkommen und die Briefe für dich raussuchen. Ich hab gedacht, das war das Mindeste, was ich noch tun sollte. Ich hab gedacht, ich hätte mich nicht einfach so verpissen dürfen. Aber als ich dann ins Schlafzimmer bin, um meine Jacke zu holen, da hat er schon auf mich gewartet. Ich hab nicht mal gewusst, wie man so eine Schlinge macht, er hat's mir dann gezeigt«, sagte Danny. »So kriegt er dich auch. Er bringt dich dazu, dass du dich selbst umbringst.«
    »Sicher nicht.«
    »Ist schwer, sich von seiner Stimme loszureißen. Ich konnte nicht dagegen an. Er wusste zu viel. Er hat gewusst,dass ich es war, der meiner Schwester das Heroin gegeben hat, an dem sie dann gestorben ist. Er hat gesagt, dass sich meine Mutter deshalb umgebracht hat. Weil sie gewusst hat, was ich getan habe, und dass sie deshalb nicht mehr weiterleben konnte. Er hat gesagt, dass ich hätte hängen sollen und nicht meine Mutter. Und dass ich mich, wenn ich ein bisschen Anstand im Leib hätte, schon viel früher umgebracht hätte. Er hatte recht.«
    »Nein, Danny«, sagte Jude. »Nein. Er hatte nicht recht. Du hättest dich nicht…«
    Danny hörte sich kurzatmig an. »Doch. Ich hatte keine andere Wahl. Hatte keinen Zweck, mit ihm zu streiten. Mit so einer Stimme kann man nicht streiten.«
    »Abwarten«, sagte Jude.
    Danny sagte nichts darauf. In dem Snuff-Film stritten sich zwei Männer auf Spanisch. Und immer noch waren da die würgenden Geräusche. Georgia starrte wie gebannt auf den Schirm. Sie bewegte sich kaum. Hin und wieder ein ruckartiges Zucken der Schultern, willkürlich, wie spastisch.
    »Ich muss jetzt Schluss machen, Danny.« Immer noch sagte Danny nichts. Jude lauschte dem leisen Rauschen in der Leitung und spürte, dass Danny auf etwas wartete, auf irgendein letztes Wort, und schließlich sagte er: »Geh einfach weiter, mein Junge. Die Straße muss ja irgendwohin führen.«
    Danny lachte. »Du bist gar kein so übler Bursche, wie du glaubst, Jude. Weißt du das?«
    »Ja, aber sag's keinem weiter.«
    »Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben«, sagte Danny. »Wiedersehen.«
    »Wiedersehen, Danny.«
    Jude legte den Hörer auf die Gabel. Während er sich vornüberbeugte, fiel sein Blick zufällig hinter den Schreibtisch. Der Bodensafe stand offen. Sein ersterGedanke war, dass der Geist ihn geöffnet hatte, ein Gedanke, den er aber sofort wieder verwarf. Eher Georgia. Sie kannte die Kombination.
    Er drehte sich um und schaute auf ihren Hinterkopf, den Strahlenkranz aus flackerndem blauem Licht und dann auf den Fernseher.
    »Georgia? Alles in Ordnung, mein Schatz?«
    Sie sagte nichts.
    Über den dicken Teppich bewegte er sich lautlos auf sie zu. Als Erstes kam wieder das Fernsehbild ins Blickfeld. Die Mörder machten den mageren weißen Burschen fertig. Später würden sie seine Freundin in eine Steinhütte am Strand schaffen. Jetzt waren sie allerdings noch in den Hügeln oberhalb des Golfes von Kalifornien, irgendwo auf einem überwucherten Feldweg in der Wildnis. Der Junge lag auf dem Bauch, die Hände waren mit weißen Plastikhandschellen auf den Rücken gefesselt. Die Haut glänzte in der tropisch heißen Sonne wie ein weißer Fischbauch. Ein winziger Weißer mit wirrem Blick und einer roten Afrofrisur, die wie eine Clownsperücke aussah, drückte mit einem Cowboystiefel den Nacken des Jungen auf den Boden. Ein Stück weiter stand ein schwarzer Van mit offenen Hecktüren. An einem der hinteren Kotflügel lehnte der rundliche Mexikaner im Jogginganzug. Er trug einen beleidigten Gesichtsausdruck zur Schau.
    »Nos estâmes yendo«, sagte der Mann in dem Jogginganzug. »Ahora.«
    Der Rotschopf mit dem wirren Blick verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf, als wollte er Widerspruch anmelden, zielte dann aber mit seinem kleinen Revolver auf den Kopf des Jungen und drückte ab. Die Mündung blitzte auf. Der Kopf des Jungen wurde nach vorn gerissen, schlug auf den Boden auf, prallte zurück. Die Luft um den Kopf verwandelte sich in eine feine Nebelwolke aus Blut.
    Der Weiße nahm den Fuß vom Hals des Jungen und stakste zimperlich ein paar Meter weg, damit seine Cowboystiefel nicht mit Blut besudelt wurden.
    Georgias Gesicht war blass und völlig ausdruckslos, der Blick der weit aufgerissenen, starren Augen war auf den Bildschirm fixiert. Sie trug das

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