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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Autowerkstatt herumgeschraubt, und er hörte an dem tiefen, grimmigen Brummen im Leerlauf, dass da eine große Maschine unter der Haube steckte. Die Frontpartie mit der wuchtigen chromfarbenen Stoßstange, die wie der Zahnschutz eines Boxers aussah, und dem stählernen Bullenfänger vor dem Kühlergrill signalisierte nichts als Aggression und Bedrohung. Was er zunächst für die Frontscheinwerfer gehalten hatte, waren zwei an dem Bullenfänger montierte runde Suchscheinwerfer, die ihr grelles Licht in die Nacht bohrten. Der Wagen stand auf 35er Reifen, die für fast dreißig Zentimeter Bodenfreiheit sorgten: ein Pick-up für überflutete, morastige Straßen, für die tiefen Furchen und das dichte Unterholz des tiefen Südens, für Sumpfgelände. Der Motor lief. Niemand saß am Steuer.
    Die Hunde sprangen an dem Maschendrahtgitter ihres Zwingers hoch, ein ständiges Krachen und Scheppern, während sie den leeren Pick-up anbellten. Jude schaute die Einfahrt hinunter zur Straße. Die Tore waren geschlossen. Um sie zu öffnen, musste man den sechsstelligen Sicherheitscode kennen.
    Der Pick-up gehörte dem toten Mann. Jude hatte es sofort gewusst, hatte es gelassen und mit äußerster Gewissheitzur Kenntnis genommen, als er den Wagen gesehen hatte. Sein nächster Gedanke war: Und, alter Mann, wohin fahren wir jetzt?
    Das Telefon neben dem Bett klingelte. Jude zuckte zusammen und ließ den Vorhang los. Er drehte sich um. Die Uhr neben dem Telefon zeigte 3.12 an. Es klingelte wieder.
    Jude trippelte hastig über die kalten Bodendielen. Er schaute auf das Telefon hinunter. Es klingelte ein drittes Mal. Jude wollte nicht abheben. Er hatte so eine Ahnung, dass der alte Mann dran war, und mit dem wollte er nicht sprechen. Er wollte Craddocks Stimme jetzt nicht hören.
    »Scheiße«, sagte er und hob ab. »Ja?«
    »Hallo, Chef. Ich bin's, Dan.«
    »Danny? Es ist drei Uhr morgens!«
    »Oh, hab nicht gewusst, dass es schon so spät ist. Hast du schon geschlafen?«
    »Nein.« Jude sagte nichts mehr und wartete.
    »Tut mir leid, wie ich da so einfach abgehauen bin.«
    »Bist du betrunken?«, fragte Jude. Er schaute wieder zum Fenster. Das Licht der Suchscheinwerfer schimmerte blau durch den Stoff der Vorhänge. »Hast du dir einen angesoffen, um mich zu fragen, ob du deinen Job wiederhaben kannst? Wenn ja, dann kann ich dir nur sagen, das ist verdammt nicht die richtige Zeit, um …«
    »Nein, nein. Ich … ich kann nicht zurückkommen, Jude. Ich rufe nur an, weil ich mich entschuldigen wollte, für alles. Tut mir leid, dass ich dir überhaupt gesagt habe, dass der Geist zu verkaufen ist. Ich hätte einfach meinen Mund halten sollen.«
    »Geh wieder ins Bett.«
    »Kann ich nicht.«
    »Was zum Henker ist los mit dir?«
    »Ich laufe hier in der Gegend rum, im Dunkeln, keine Ahnung, wo ich überhaupt bin.«
    Jude spürte, wie er auf den Armrücken eine Gänsehaut bekam. Der Gedanke verstörte ihn, dass Danny irgendwo da draußen in dunklen Straßen herumlief; mehr als eigentlich nötig, mehr, als einen Sinn ergab.
    »Wie bist du da hingekommen, wo du jetzt bist?«
    »Ich bin einfach losgelaufen. Ich weiß nicht mal, warum.«
    »Herrgott, du bist wirklich betrunken. Schau dich um, vielleicht siehst du irgendwo ein Straßenschild, und dann ruf dir ein Taxi«, sagte Jude und legte auf.
    Er war froh, dass er das Gespräch hinter sich hatte. Dannys Tonfall – traurig, abgedreht, verwirrt – war ihm unangenehm gewesen.
    Nicht dass Danny etwas völlig Unglaubwürdiges oder Unwahrscheinliches gesagt hätte. Sie hatten nur nie zuvor so miteinander gesprochen. Danny hatte noch nie mitten in der Nacht und noch nie betrunken angerufen. Jude hatte Schwierigkeiten, sich ihn überhaupt so vorzustellen: bei einem Spaziergang um drei Uhr morgens oder so weit weg von zu Hause, dass er sich verlief. Was er auch sonst für Macken hatte, Danny war ein Problemlöser. Deshalb hatte Jude ihn seit acht Jahren auf der Lohnliste gehabt. Selbst wenn Danny sturzbesoffen war, glaubte Jude nicht, dass er als Erstes ihn anrufen würde, wenn er sich irgendwo verlaufen hatte. Er würde in den nächsten Laden marschieren und nach dem Weg fragen oder versuchen, einen Streifenwagen aufzuhalten.
    Nein. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der Anruf und der Pick-up in der Einfahrt waren zwei Dinge, die zu einer Sache gehörten. Das war Jude klar. Das sagte ihm sein Instinkt. Das sagte ihm das leere Bett.
    Er schaute wieder zu dem von draußen angestrahlten Vorhang. Die Hunde

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