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Blind

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Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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und ich hab sie immer genommen. Einen nagelneuen Pullover zum Beispiel, mit fünfzig Dollar in der Tasche. Er hat gemeint, ich könnte mir dann passende Schuhe dazu kaufen. Ich hab mich für Schuhgeld vögeln lassen.«
    »Scheiße. Das war nun wirklich kein guter Grund, sich umzubringen«, sagte Jude. »Das war ein guter Grund, um ihn umzubringen.«
    Sie lachte.
    »Wie hieß der Mann?«
    »George Ruger. Er ist jetzt Gebrauchtwagenhändler in meiner alten Heimatstadt. County-Vorsitzender bei den Republikanern.«
    »Wenn ich das nächste Mal durch Georgia komme, schau ich bei dem Hurensohn vorbei und leg ihn um.«
    Wieder lachte sie.
    »Oder ramm ihm zumindest seinen Arsch in den heiligen Boden von Georgia«, sagte Jude und spielte die ersten Takte von »Dirty Deeds«.
    Sie nahm sein Glas vom Verstärker, prostete ihm zu und nahm einen kleinen Schluck.
    »Weißt du, was das Beste an dir ist?«, sagte sie.
    »Keine Ahnung.«
    »Dich kann man mit nichts schocken. Ich meine, was ich dir gerade über mich erzählt hab, und trotzdem denkst du nicht, dass ich, na ja, dass ich völlig fertig bin oder total am Arsch oder so.«
    »Vielleicht tu ich's ja, und es ist mir einfach nur egal.«
    »Es ist dir nicht egal«, sagte sie und legte eine Hand auf sein Fußgelenk. »Dich schockiert nichts.«
    Er sagte nichts dazu und sagte ihr auch nicht, dass er fast vom ersten Augenblick an, als er sie gesehen hatte mit ihrem Hundehalsband, den zerrupften stacheligen Haaren und dem weißen Lippenstift –, darauf gewettet hätte: auf Selbstmordversuch, auf den gefühlskalten Vater, auf den zudringlichen Hausfreund.
    »Also, jetzt bist du dran«, sagte sie. »Was ist dir so alles passiert?«
    Er wand ihr sein Fußgelenk aus den Fingern.
    »Diese Spielchen, wer die beschissenste Kindheit hatte, sind nicht mein Ding.«
    Er schaute zum Fenster. Vom Tageslicht war nur noch ein schwaches rötlich braunes Glühen jenseits der kahlen Bäume übrig. Jude betrachtete sein eigenes halb durchsichtiges Spiegelbild in der Scheibe, das längliche, zerfurchte, hagere Gesicht, den wallenden schwarzen Bart, der ihm fast bis zur Brust reichte. Ein Geist mit einem verhärmten, harten Gesicht.
    »Erzähl mir von der Frau, die dir den Geist geschickt hat«, sagte Georgia.
    »Sie heißt Jessica Price. Aber sie hat ihn mir eben nicht einfach so geschickt. Sie hat mich ausgetrickst, damit ich was dafür zahle.«
    »Ja, richtig, bei eBay.«
    »Nein, bei einem anderen Laden, irgendeinem drittklassigen Ableger. Und es hat auch nur so ausgesehen, als ob das eine reguläre Versteigerung gewesen ist. Sie hat das hinter den Kulissen so gedeichselt, dass nur ich den Zuschlag kriegen konnte.« Jude sah die Frage in Georgias Augen und beantwortete sie, bevor sie den Mund aufmachen konnte. »Keine Ahnung, warum sie sich die ganze Arbeit gemacht hat. Aber aus irgendeinem Grund konnte sie mir den Geist nicht einfach so schicken. Ich musste mich einverstanden erklären, dass er in meinen Besitz übergeht. Ich bin mir sicher, dass irgendeine tiefgründige moralische Botschaft dahintersteckt.«
    »Und ob«, sagte Georgia. »Bleib bei eBay und vergiss die Trittbrettfahrer.« Sie trank einen Schluck, leckte sich die Lippen und sprach weiter. »Und das alles, weil ihre Schwester sich umgebracht hat? Warum gibt sie dir die Schuld? Wegen irgendeinem Songtext von dir? Wie bei diesem Jungen, der sich umgebracht hat, nachdem er sich Ozzy Osbourne angehört hat? Gibt's da was in deinen Texten, wo es heißt, dass Selbstmord okay ist oder so?«
    »Nein. Und bei Ozzy auch nicht.«
    »Dann versteh ich nicht, warum sie so sauer auf dich ist. Habt ihr euch schon vorher irgendwie gekannt? Oder hast du das Mädchen gekannt, das sich umgebracht hat? Hat sie dir irgendwelche verrückten Fanbriefe geschrieben?«
    »Sie hat eine Zeit lang mit mir zusammengelebt«, sagte er. »Wie du.«
    »Wie ich? Oh.«
    »Falls du es noch nicht gewusst hast, Georgia. Ich war keine Jungfrau mehr, als ich dich kennengelernt habe.« Seine Stimme kam ihm hölzern und fremd vor.
    »Wie lange hat sie hier gelebt?«
    »Weiß nicht genau. Acht, neun Monate. Jedenfalls länger als erwünscht.«
    Sie dachte nach. »Bei mir sind es jetzt ungefähr neun Monate.«
    »Und?«
    »Hab ich meine Zeit schon überschritten? Ist neun Monate das Limit? Ist dann wieder Frischfleisch angesagt? Was war sie, naturblond, und du wolltest mal wieder was Brünettes?«
    Er nahm die Hände von der Gitarre. »Sie war naturgaga, also hab ich sie

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