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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Ramones-T-Shirt, das sie schon tagsüber getragen hatte, aber keine Unterwäsche. Die Beine waren gespreizt. In einer Hand, der verletzten, hielt sie ungelenk Judes Revolver. Den Lauf hatte sie sich tief in den Mund gesteckt. Die andere Hand befand sich zwischen den Beinen, und der Daumen bewegte sich auf und ab.
    »Georgia«, sagte er. Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, einen hilflosen, bettelnden Blick, dann schaute sie sofort wieder in den Fernseher. Dann drückte sie den Lauf des Revolvers nach oben gegen den Gaumen. Ein leises, würgendes Geräusch war zu hören.
    Die Fernbedienung lag auf der Armlehne. Jude drückte den Aus-Knopf. Der Bildschirm wurde schwarz. Ihre Schultern wurden von einem nervösen, reflexartigen Zucken geschüttelt. Die linke Hand machte sich weiter zwischen ihren Beinen zu schaffen. Sie erschauerte, und ein gezwungenes, trauriges Geräusch drang aus ihrem Mund.
    »Hör auf«, sagte Jude.
    Sie spannte mit dem Daumen den Hahn. Das Knacken dröhnte in der Stille des Studios.
    Jude streckte die Hand aus und entwand ihr vorsichtig den Revolver. Abrupt erstarrte ihr Körper zu vollkommener Regungslosigkeit. Ihr pfeifender Atem kam in kurzen, schnellen Stößen. Ihr Mund war nass, die Lippen glänzten leicht, und er merkte, dass er einen Halbsteifen hatte. Ihr Körpergeruch und die Finger, die ihren Kitzler aufreizten, hatten seinen Schwanz hart werden lassen. Ihr Kopf befand sich genau in der richtigen Höhe. Wenn er sich jetzt vor sie stellte, könnte sieihm den Schwanz lutschen, während er ihr den Revolver an den Kopf hielt. Er könnte ihr den Lauf ins Ohr stecken und seinen Schwanz in ihren …
    Plötzlich sah er, wie sich in dem nicht ganz geschlossenen Fenster hinter seinem Schreibtisch eine kurze Bewegung spiegelte. Er riss den Kopf hoch und schaute auf das Bild in der Scheibe. Er sah sich selbst und den toten Mann, der neben ihm stand, sich zu ihm hinunterbeugte und ihm ins Ohr flüsterte. Und er sah, wie sein erhobener Arm Georgia den gespannten Revolver an den Kopf hielt.
    Sein Puls schoss in die Höhe, das Adrenalin pumpte ihm ins Herz. Er senkte den Blick und sah, dass er tatsächlich den Revolver an ihren Kopf hielt, sah, dass sein Finger sich über dem Abzug krümmte. Er versuchte die Bewegung seines Fingers zu stoppen, aber es war schon zu spät. Er drückte ab und wartete entsetzt darauf, dass der Hahn nach vorn klickte.
    Nichts. Der Abzug ließ sich den letzten halben Zentimeter nicht durchdrücken. Der Revolver war nicht entsichert.
    »Verdammte Scheiße«, zischte Jude und senkte den Revolver. Er zitterte am ganzen Leib. Mit dem Daumen schob er den Hahn zurück. Als er wieder an seinem Platz war, schleuderte er den Revolver von sich.
    Als die schwere Waffe auf den Schreibtisch knallte, zuckte Georgia zusammen. Ihr Blick jedoch blieb auf einen imaginären Punkt in der Dunkelheit fixiert.
    Jude schaute sich um. Niemand stand neben ihm. Wo war Craddocks Geist? Der Raum war leer bis auf ihn und Georgia. Er drehte sich wieder zu ihr um, fasste sie an ihrem schlanken weißen Handgelenk und zog sanft.
    »Los, steh auf«, sagte er. »Wir verschwinden. Sofort. Keine Ahnung, wohin, aber wir hauen ab. Wir gehen irgendwohin, wo jede Menge Leute und helle Lampen sind. Und da denken wir dann über alles nach. Hörst dumich?« An seine logische Begründung, warum Flucht unsinnig war, konnte er sich nicht mehr erinnern. Logische Begründungen hatten sich erledigt.
    »Er ist noch nicht mit uns fertig«, sagte sie. Ihre Stimme war nur ein zitterndes Flüstern.
    Er zog an ihrem Handgelenk, aber sie stand nicht auf. Sie rührte sich nicht, blieb stocksteif sitzen. Sie schaute ihn immer noch nicht an, schaute nur geradeaus.
    »Los«, sagte er. »Solange noch Zeit ist.«
    »Die Zeit ist um«, sagte sie.
    Der Fernseher ging wieder an.
    18
    Die Abendnachrichten liefen. Bill Beutel, der seine Journalistenkarriere begonnen hatte, als die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand die Topmeldung der Stunde gewesen war, saß steif hinter dem Sprecherpult. Sein Gesicht bestand aus einem Netzwerk von Falten, die sich von seinen Augen- und Mundwinkeln über das ganze Gesicht verästelten. Die gramgebeugten Züge und der Blick verhießen Übles: weitere schlechte Nachrichten aus dem Nahen Osten oder den Unfall eines Schulbusses, den keines der Kinder überlebt hatte, oder einen Tornado, der eine Wohnwagensiedlung aufgesaugt und als ein Chaos aus Bügelbrettern, zerfetzten Rollläden und Menschenleibern

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