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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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sich als Zeuge, nicht als Mitwirkender an der Szene, die sich jetzt abspielen würde. Sein Kopf war zu leer, als dass er sich vor dem, was er tun sollte, hätte grauen können. Er wusste nur, dass er es tun musste, wollte er wieder aufwachen.
    Doch bevor er die Hand nach dem Revolver ausstrecken konnte, sprang Georgia aus dem Sessel. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie sich überhaupt rühren konnte, hatte angenommen, dass Craddock sie irgendwie festhielt. Anscheinend hatte nur die Angst sie gelähmt. Sie wollte zur Tür und war schon fast an Jude vorbei.
    Halt sie auf, sagte die auf der Welt einzige noch existierende Stimme. Jude sah sich selbst dabei zu, wie er ihre Haare packte und den Kopf zurückriss, was sie augenblicklich von den Füßen holte. Er drehte sich um und warf sie zu Boden. Die Möbel zitterten, als sie auf dem Boden aufschlug. Ein Stapel CDs rutschte von einem Beistelltisch und ergoss sich lautlos über den Boden. Judes Fuß schoss vor und trat Georgia in den Magen, ein guter, harter Tritt, worauf sie sich augenblicklich in eine fötale Position zusammenkrümmte. Schon im nächsten Moment wusste er nicht mehr, warum er das getan hatte.
    Na also, sagte der tote Mann.
    Es verwirrte Jude, wie die Stimme des toten Mannes aus der Stille an sein Ohr drang. Die Worte hatten eine fast physische Präsenz, sie waren wie sich gegenseitig jagende, in seinem Kopf herumschwirrende Bienen. Sein Kopf war der Bienenstock, bei dem sie ein und aus flogen, und wenn sie nicht da waren, herrschte in seinem Kopf einen wächserne, wabenartig durchlöcherte Leere. Sein Kopf war so leicht und so hohl, dass er fürchtete, verrückt zu werden, wenn er nicht wieder eigene Gedanken denken, mit seiner eigenen Stimme würde sprechen können. Der tote Mann sagte: Zeig's der Fotze. Wenn du mir den Ausdruck verzeihst. Nimm jetzt den Revolver. Beeil dich.
    Jude drehte sich um, um den Revolver zu holen. Er bewegte sich schnell. Rüber zum Schreibtisch, zum Revolver, der auf dem Boden lag, mit einem Knie runter, die Hand ausstrecken, aufheben.
    Jude hörte die Hunde erst, als er nach dem Revolver griff. Ein kurzes nervöses Kläffen, dann wieder. Seine Aufmerksamkeit verfing sich darin wie ein Ärmel an einem vorstehenden Nagel. In dieser grenzenlosen Stille etwas anderes als Craddocks Stimme zu hören kam einem Schock gleich. Das Fenster hinter dem Schreibtischstand immer noch ein Stück offen. Wieder Bellen, schrill, wütend. Erst Angus, dann Bon.
    Na los, mein Junge, tu's endlich.
    Judes Blick huschte zu dem kleinen Papierkorb neben dem Schreibtisch, in den er die Splitter des Platinalbums gekippt hatte. Ein Satz chromfarbener Messerspitzen ragte senkrecht in die Luft. Die Hunde bellten jetzt im Chor, ein Riss im Gewebe der Stille. Der Radau rief ihm ungewollt ihren Geruch in Erinnerung, den Gestank ihres feuchten Hundefells, den üblen Dunst ihres heißen Atems. Jude sah sein Spiegelbild in einem der silbernen Plattensplitter und war schockiert von seinem starren Blick, in dem Verzweiflung und Entsetzen stand. Und im nächsten Augenblick kam ihm, untermalt vom anhaltenden Gejaule der Hunde, ein Gedanke, der sein eigener war, den er mit eigener Stimme formte. Die einzige Macht, ob über mich oder sie, ist die Macht, die wir ihm geben.
    In der nächsten Sekunde griff Jude über den Revolver hinweg und hielt die Hand über den Papierkorb. Er legte den Ballen der rechten Hand auf den Splitter, der am schärfsten und längsten aussah, und rammte die Hand mit aller Kraft hinein. Die Spitze drang ins Fleisch, und ein rasender Schmerz fuhr ihm durch die Hand bis in den Unterarm. Jude stieß einen Schrei aus, und die Tränen schössen ihm in die Augen. Er riss den Handballen wieder heraus und klatschte die rechte und linke Hand gegeneinander, worauf das Blut zwischen ihnen hervorspritzte.
    Scheiße, Junge, was tust du dir da an?, fragte Craddocks Geist. Aber Jude hörte ihm nicht mehr zu, konnte ihm nicht mehr zuhören wegen des Schmerzes in seiner fast bis auf den Knochen aufgespießten Hand.
    Ich bin noch nicht fertig mit dir, sagte Craddock. Was aber nicht stimmte, er wusste es nur nicht. Wie ein nach einem Rettungsring schnappender Ertrinkenderkonzentrierte sich Jude mit allen Sinnen auf das Bellen der Hunde und klammerte sich daran fest. Er richtete sich auf und setzte sich in Bewegung.
    Raus zu den Hunden. Sein Leben und das von Georgia hingen davon ab. Kein rationaler Gedanke, aber Jude scherte sich jetzt nicht um Ratio. Nur um

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