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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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glänzte frischer Eiter auf der weißen Wunde.
    »Und, was machen wir jetzt dagegen?«, fragte er.
    »Der ist okay. Ich tu schon Wundsalbe drauf.«
    »Der ist überhaupt nicht okay. Am besten, wir fahren ins Krankenhaus.«
    »Du glaubst doch nicht, dass ich mich drei Stunden in eine Notaufnahme setze, damit sich jemand die Stelle anschaut, wo ich mich mit einer Nadel gepiekst habe?«
    »Du weißt doch gar nicht, was dich gestochen hat. Vergiss nicht, was du angefasst hast, als das passiert ist.«
    »Tu ich nicht. Ich glaube nur nicht, dass ein Arzt da irgendwas machen kann.«
    »Du glaubst, das geht von selbst wieder weg?«
    »Ich glaube, dass die Entzündung verschwindet, wenn wir es hinkriegen, uns den toten Mann vom Hals zu schaffen. Ich glaube übrigens, dass sich dann auch deine Verletzung erledigt«, sagte sie. »Was immer das an meinem Daumen ist, es hat mit dieser ganzen Geschichte zu tun. Aber das weißt du ja selbst.«
    Er wusste gar nichts, aber auch er stellte Mutmaßungen an. Und er war nicht glücklich darüber, dass die mit ihren übereinstimmten. Er senkte den Kopf, dachte nach, wischte sich das Sprühwasser aus dem Gesicht. Schließlich sagte er: »Wenn Anna wirklich übel drauf war, dann hat sie sich immer mit einer Nadel in den Daumen gestochen. Um einen klaren Kopf zu bekommen, hat sie gesagt. Weiß nicht, vielleicht hat das ja nichts zu bedeuten. Macht mich bloß ziemlich nervös, dass du dich an der gleichen Stelle gestochen hast, wo sie sich immer gestochen hat.«
    »Also, mir macht das keine Angst. Im Gegenteil, ich fühl mich jetzt, wo ich das weiß, sogar fast besser.« Während sie sprach, fuhr sie ihm mit der gesunden Hand über die Brust. Ihre Finger erforschten eine Muskellandschaft, die allmählich die Konturen verlor, und eine alternde, schlaffe Haut, die von einem lockig silbernen Haarpelz überwuchert wurde.
    »Ach ja?«
    »Klar. Noch was, das wir gemeinsam haben. Außer dir. Ich habe sie nie getroffen, ich weiß fast nichts über sie, und doch fühle ich mich mit ihr irgendwie verbunden. Mir macht das keine Angst.«
    »Freut mich, dass dir das nichts ausmacht. Ich wollte, ich könnte das auch von mir behaupten. Was mich angeht, ich denke da lieber nicht zu viel drüber nach.«
    »Dann lass es«, sagte sie, schmiegte sich an ihn und schloss ihm mit ihrer Zunge den Mund.
    24
    Während Georgia im Bad beschäftigt war, erledigte Jude den überfälligen Gang mit Bon. Bis Georgia angezogen war, den Verband gewechselt und ihre Piercing-Accessoires wieder angelegt hatte, würden mindestens zwanzig Minuten vergehen. Als er mit Bon zurückkam, ging er zum Kofferraum des Wagens und holte Georgias Laptop. Sie wusste nicht einmal, dass sie ihn dabeihatten. Er hatte ihn automatisch eingepackt, weil er wusste, dass Georgia ihn sonst immer überallhin mitnahm, um per E-Mail und Instant Messenger mit ihrer Meute von überall im Land verstreuten Freunden in Kontakt zu bleiben. Sie vertrödelte zahllose Stunden im Netz und wühlte sich durch Diskussionsforen, Blogs, Konzert-Infos und Vampir-Pornos (was zum Lachen gewesen wäre, wenn es nicht so deprimierend wäre). Doch als sie erst mal unterwegs gewesen waren, hatte Jude den Laptop vergessen, und da Georgia nicht danach gefragt hatte, war er über Nacht im Kofferraum geblieben.
    Jude hatte keinen eigenen Laptop dabei – er besaß gar keinen. Um seine E-Mails und Online-Verpflichtungen hatte sich immer Danny gekümmert. Jude war sich darüber im Klaren, dass er dem zunehmend schwindenden Teil der Gesellschaft angehörte, der den Charme des digitalen Zeitalters nicht wirklich begriff. Jude wollte nicht ins Netz. Er hatte vier Jahre lange in einem Netz namens Kokain festgesessen, eine Zeitspanne, in der alles hyperbeschleunigt an ihm vorübergerauscht war wie in diesen Zeitraffersequenzen in Filmen, indenen ganze Tage und Nächte in Sekunden abliefen, in denen Autokolonnen auf gespenstische Lichtstreifen reduziert waren, in denen Menschen sich in verschwommene Marionetten verwandelten und mit abgehackten Bewegungen herumhetzten. Heute kamen ihm diese vier Jahre vor wie vier schlimme, verrückte Tage ohne jeden Schlaf – Tage, die mit einem Kater an Neujahr begonnen und auf überfüllten, verqualmten Weihnachtspartys geendet hatten, umzingelt von Fremden, die ihn hatten berühren wollen und deren kreischendes Gelächter sich nicht wie das von Menschen angehört hatte. Er hatte endgültig genug von Netzen.
    Einmal hatte er Danny seine Ansichten über

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