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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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zwanghafte Verhaltensweisen und Zeit, die zu schnell vorüberrauscht, über das Internet und über Drogen zu erklären versucht. Danny hatte nur eine seiner schmalen, geschmeidigen Augenbrauen gelupft und ihn verwirrt blöde angegrinst. Danny glaubte nicht, dass Koks und Computer sich irgendwie ähnelten. Aber Jude hatte die Leute gesehen, die in Erwartung eines entscheidenden, aber bedeutungslosen Informationshäppchens vor ihren Bildschirmen gekauert und wie manisch auf »Aktualisieren« gedrückt hatten. Er glaubte, dass es sich sogar sehr ähnelte.
    Jetzt war er allerdings in der Stimmung für eine kleine Dröhnung. Er trug den Laptop ins Zimmer, stöpselte ihn ein und ging online. Er schaute nicht in sein E-Mail-Postfach, tatsächlich war er sich gar nicht so sicher, ob er das überhaupt könnte. Danny hatte auf seinem Computer ein spezielles Programm installiert, mit dem er die Nachrichten für Jude aus dem Netz saugen konnte, aber Jude wusste nicht, wie er das von einem anderen Computer aus bewerkstelligen konnte. Aber er wusste, wie man einen Namen googelte. Er googelte »Anna McDermott«.
    Der Nachruf war kurz, nur halb so lang wie der ihresStiefvaters gewesen war. Jude überflog ihn nur, mehr hatte der Artikel auch nicht verdient. Was seine Aufmerksamkeit dagegen fesselte, war das Foto. Er spürte kurz ein Gefühl der Leere in der Magengrube. Er nahm an, dass es kurz vor Ende ihres Lebens aufgenommen worden war. Sie schaute ausdruckslos in die Kamera. Ein paar blasse Strähnen wehten ihr ins magere Gesicht, das unter den Backenknochen eingefallen war.
    Als sie noch zusammen gewesen waren, hatte sie stolz ihre Ringe zur Schau getragen: einen in jeder Augenbraue, vier in jedem Ohr. Auf dem Foto waren sie alle verschwunden, was ihr viel zu blasses Gesicht nur noch verletzlicher erscheinen ließ. Beim genaueren Hinschauen konnte er die Punkte erkennen, wo die Piercings gewesen waren. Sie hatte Schluss gemacht mit den silbernen Reifen, den Kreuzen, Ankh-Amuletten und glitzernden Edelsteinen, den Stiften, Angelhaken und Ringen, die sie sich in die Haut gesteckt hatte, damit sie dreckig und hart, gefährlich, verrückt und schön aussah. Manches von dem stimmte. Sie war tatsächlich verrückt und schön gewesen. Gefährlich auch. Für sich selbst.
    In dem Nachruf stand nichts von einem Abschiedsbrief, nichts von Selbstmord. Sie war knapp drei Monate vor ihrem Stiefvater gestorben.
    Er startete eine weitere Suche. Er tippte »Craddock McDermott Wünschelrutengänger« ein und erzielte sechs Treffer. Er klickte den obersten an und landete bei einem neun Jahre alten Artikel aus dem Lifestyle/ Kultur-Teil der Tampa Tribune. Jude schaute sich erst die beiden Fotos an – und versteifte sich. Es dauerte eine Zeit, bis er sich von den Fotos losreißen und seine Aufmerksamkeit dem Text daneben zuwenden konnte.
    Die Geschichte trug die Überschrift: MIT DER WÜNSCHEL-RUTE AUF TOTENSUCHE. Der Vorspann lautete: 20 Jahre nach Vietnam will Capt. Craddock McDermott einige Geisterendgültig zur Ruhe betten … und einige andere aufstöbern.
    Der Artikel begann mit der Geschichte von Roy Hayes, einem Biologie-Professor im Ruhestand, der im Alter von neunundsechzig Jahren gelernt hatte, Ultraleichtflugzeuge zu fliegen, und eines Morgens im Herbst 1991 zu einem Flug über die Everglades gestartet war, um für eine Umweltgruppe Silberreiher zu zählen. Auf einem Privatlandeplatz südlich von Naples wurde um 7.13 Uhr morgens ein Funkspruch aufgefangen.
     
    »Ich glaube, ich habe einen Schlaganfall«, sagte Hayes.
    »Mir ist schwindelig. Ich weiß nicht, wie tief ich schon bin. Ich brauche Hilfe.«
     
    Das war sein letztes Lebenszeichen. Eine Suchaktion, an der über dreißig Boote und hundert Männer beteiligt gewesen waren, hatte weder eine Spur von Hayes noch von seinem Flugzeug erbracht. Jetzt, drei Jahre nach seinem Verschwinden und mutmaßlichen Tod, hatte sich seine Familie zu dem ungewöhnlichen Schritt entschlossen, Craddock McDermott, Captain a. D. der U.S. Army, mit einer neuen Suche nach seinen Überresten zu beauftragen.
     
    »Er ist nicht in die Everglades gestürzt«, behauptet McDermott und lächelt dabei selbstsicher. »Die Suchmannschaften haben die ganze Zeit an der falschen Stelle gesucht. Die Winde an jenem Morgen haben sein Flugzeug weiter nach Norden abgetrieben, über den Big Cypress Swamp. Ich glaube, er ist weniger als eine Meile südlich vom State Highway 41 runtergekommen.«
    McDermott ist der Ansicht,

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