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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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mit AC/DC. Sie kannte den ganzen Text. Seit Monaten hatte er nichts mehr gesehen, was so sexy war.
    Er prostete ihr zu und sah dabei, dass sein Bier leer war. Er konnte sich nicht daran erinnern, es getrunken zu haben. Ein paar Minuten später brachte ihm die Kellnerin ein frisches. Von ihr erfuhr er auch, dass die Tänzerin mit dem Messer Morphine hieß und eines der beliebtesten Mädchen des Etablissements sei. Es kostete ihn einen Hunderter, ihre Telefonnummer zu erfahren und dass sie seit etwa zwei Jahren hier tanzte, seit dem Tag, als sie mit dem Bus aus Georgia hier angekommen war. Es kostete ihn noch einen Hunderter, um zu erfahren, dass sie, wenn sie nicht strippte, auf den Namen Marybeth hörte.
    27
    Kurz vor Georgia übernahm Jude das Steuer. Er hatte Kopfschmerzen, wobei der Druck auf den Augäpfeln am unangenehmsten war. Die südliche Sonne verschlimmerte alles noch. Sie strahlte von Kotflügeln, Windschutzscheiben, Straßenschildern, von so ziemlich allem zurück. Ohne die Kopfschmerzen wäre der wolkenlose, saftig dunkelblaue Himmel ein Genuss gewesen.
    Als sie sich der Staatsgrenze Floridas näherten, äußerte sich Judes wachsende Anspannung als ein nervöses Kribbeln im Magen. Testament war vielleicht noch vier Stunden entfernt. Bei Einbruch der Dunkelheit würde er vor dem Haus von Jessie Price, geborene McDermott, Anna McDermotts Schwester, ältere Stieftochter von Craddock McDermott stehen, und er wusste nicht, was er dann tun würde.
    Der Gedanke war ihm schon durch den Kopf gegangen, dass vielleicht einer von ihnen beiden das Treffen nicht überleben würde. Er hatte daran gedacht, sie umzubringen für das, was sie getan hatte, dass sie geradezu darum bettelte. Doch erst jetzt, da ihre Begegnung so kurz bevorstand, war der Gedanke zum ersten Mal mehr als nur wütende Spekulation.
    Als Junge hatte er Schweine getötet, auf der Schweinefarm seines Vaters. Er hatte die, die zu langsam gewesen waren, an den Hinterbeinen gepackt und ihnen auf dem Betonboden des Schlachtraumes den Schädel zertrümmert. Man schwang sie in die Luft und schlug sie dann auf den Boden. Es folgte ein hohles, platzendesGeräusch, das sich widerwärtig anhörte, so als ob man eine Wassermelone aus großer Höhe fallen ließ, und sofort hörte das Gequieke auf. Manchmal hatte er mit einem Bolzenapparat Schweine getötet und sich dabei vorgestellt, er würde seinen Vater umbringen.
    Jude war entschlossen zu tun, was immer nötig war. Nur dass er noch nicht wusste, was das sein würde. Und wenn er genau darüber nachdachte, graute ihm davor, was er dabei über sich erfahren könnte. Wozu er fähig sein könnte, davor fürchtete er sich fast genauso wie vor dem Wesen, das ihn verfolgte, dem Wesen, das einmal Craddock McDermott gewesen war.
    Er ging davon aus, dass Georgia eingenickt war, bis sie auf einmal zu sprechen anfing.
    »Die nächste Ausfahrt«, sagte sie mit einer Stimme so rau wie Schmirgelpapier.
    Ihre Großmutter. Jude hatte ganz vergessen, dass er Georgia versprochen hatte, bei ihr vorbeizuschauen.
    Er folgte ihren Anweisungen, bog am Ende der Ausfahrt links ab und fuhr dann auf einem zweispurigen State Highway durch die schäbigen Randbezirke von Crickets, Georgia. Sie rollten an Gebrauchtwagenhändlern vorbei, deren Parkplätze mit Tausenden im Wind flatternden rot-weiß-blauen Plastikwimpeln ausgeflaggt waren, und ließen sich mit dem Verkehr in die Stadt tragen. Sie fuhren an einer Seite der Rasenfläche des Stadtplatzes entlang, vorbei am Gericht, am Rathaus und am zerfallenden Backsteinbau des Eagle Theater.
    Der Weg zu Bammys Haus führte sie durch die grünen Parkanlagen eines kleinen Baptisten-Colleges. Junge Männer, die Pullis mit V-Ausschnitt und dazu eine Krawatte trugen, gingen neben Mädchen in Faltenröcken, deren akkurate, glänzende Frisuren wie aus einem vorsintflutlichen Shampoo-Werbespot aussahen. Manche der Studenten starrten Jude und Georgia in ihrem Mustang an, mit den Schäferhunden, die aufrecht auf demRücksitz saßen, die hinteren Scheiben von ihrem hechelnden Atem beschlagen. Ein Mädchen, das neben einem größeren Jungen mit gelber Fliege ging, zuckte erschrocken zurück, als sie vorbeifuhren. Der Fliegenbursche legte dem Mädchen besänftigend den Arm um die Schulter. Jude verzichtete auf die einschlägige Handbewegung, es sich doch selbst zu besorgen, und war ein paar Straßen weit richtig stolz darauf, wie zurückhaltend er sein konnte. Seine Selbstbeherrschung war wirklich

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