Blinde Angst
allem aber aus den vom Krieg zerrissenen Gebieten Mazedonien, Bosnien und Herzegowina. Was für Basescus Zuhörer interessant sein konnte, war die Tatsache, dass das Lagerhaus abbrannte und man die verkohlten Überreste der eingeschlossenen Frauen fand. Außerdem stand ein Rolls-Royce im Ladebereich, der auf einen reichen Koreaner zugelassen war, der nur als Jong-pil bekannt war. Und dieser Jong-pil verschwand aus der Bukarester Nachtclub-Szene und tauchte nicht wieder auf.
Es gab immer mehr Wortmeldungen im Saal. Jemand erzählte von einem Regionalbüro der bulgarischen Grenzpolizei, dessen Informant aus dem Drogengeschäft ein Gespräch über Frauen mitbekommen hatte, die von Bulgarien nach Haiti verschleppt wurden. Ein dunkelhäutiger einäugiger Mann hatte damit geprahlt, dass er die Gesichter der Frauen mit einem Voodoo-Motiv tätowiere, bevor er sie als Sklavinnen nach Südamerika verkaufen würde.
Ein Vertreter der thailändischen Polizei mit neunzehnjähriger Erfahrung sprach davon, wie sich in Südostasien der Trend im Menschenhandel umkehre. Reiche thailändische Männer missbrauchten nicht mehr die Kinder der eigenen verarmten Bevölkerung, sondern kauften osteuropäische Kinder für ihre Bordelle in Pattaya ...
Ein Texas Ranger berichtete von Jugendlichen in Mexiko, die von einer vorgeblichen privaten Arbeitsvermittlung rekrutiert wurden, um in New York City in Hotels oder Privathaushalten zu arbeiten. Von einem Hotelparkplatz in Nuevo Laredo aus wurden sie mit Lastwagen über die texanische Grenze gebracht, wo sie gezwungen wurden, als Prostituierte in einem Bordell in Houston zu arbeiten.
So ging es auf dieser Veranstaltung etwa sechs Stunden weiter.
3
Philadelphia, Pennsylvania
Brigham ließ den Portwein in seinem Glas kreisen, legte den Brief in seinen Schoß und nahm die Lesebrille ab. »Also, was hältst du von Captain Metcalf ?«, fragte er.
»Wie bitte?«, sagte Sherry und spürte, wie ihr die Hitze in den Kopf stieg. Brigham betrachtete sie amüsiert; sie hatte einfach zu viele Fragen über ihn gestellt, seit sie vom Denali zurück war. Er sah sehr wohl die Farbe auf ihrem schönen Gesicht. Sie griff sich in ihr volles kastanienbraunes Haar und wickelte sich verlegen eine Locke um den Finger.
»Der Sohn des Senators war sehr angetan von dir, habe ich gehört. Ja, er hat angeblich nur noch von dir gesprochen, nachdem sie seine Schwester nach Hause gebracht hatten.«
Sherry hielt den Kopf gesenkt und drehte die Haarsträhne immer fester.
»Darüber, wie gut du das auf dem Berg gemacht hast -das meine ich.« Brigham beobachtete sie aufmerksam. »So etwas ist ja nicht selbstverständlich, wenn man blind ist. Metcalf weiß das anscheinend sehr zu schätzen.«
»Ja.« Sie nickte. »Nun, ich habe ihn auch ziemlich fähig gefunden, sehr ... äh ... kompetent ist wahrscheinlich das richtige Wort.«
»Mmm-ja.« Brigham lächelte und nahm einen Schluck von seinem Wein. »Ja, kompetent.«
Sherry wechselte schnell das Thema. »Es ist seiner Schwester sehr schwergefallen, über das zu sprechen, was dort oben passiert ist. Ich hatte den Eindruck, dass sie und der tote Bergsteiger sich auf dem Berg vielleicht nähergekommen sein könnten. Obwohl sie gar nichts über ihn wusste ...«
Brigham wollte zu dem Thema nichts sagen und schwieg.
»Ich muss immer noch daran denken, weißt du«, fuhr Sherry Moore fort.
Sie verschränkte die Hände im Nacken, während das Feuer im Kamin knisterte. »Ich kann es einfach nicht vergessen. Obwohl ich mir alle Mühe gebe. Ehrlich.«
Brigham brummte frustriert. »Willst du die hier noch fertig machen?« Er wedelte mit einem der Briefe, die er in seinem Schoß liegen hatte. Sie gingen gerade die Post dieser Woche durch, eine Tätigkeit, die für sie beide längst so etwas wie ein Ritual war. Sherry und Brigham wählten oft eine Handvoll Briefe aus dem Postfach, das sie eigens für solche Anfragen unterhielt, und diskutierten darüber, wie sie mit den einzelnen Bitten um ihre Mithilfe umgehen sollte. Sherry nahm jedes Jahr nur eine kleine Anzahl von Fällen an, von denen nicht wenige aus Polizeikreisen an sie herangetragen wurden, doch es kam immer wieder vor, dass ein Schreiben sie so berührte, dass sie zurückschrieb. Brigham übernahm in solchen Fällen stets die Rolle des Advocatus Diaboli.
»Ich will noch einmal darüber sprechen.«
»Wir haben doch schon darüber gesprochen, Sherry«, erwiderte Brigham mürrisch. »Du weißt doch, was für eine Welt das
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