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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George D Shuman
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ist. Da kannst du nicht einfach so hingehen und die Sache im Alleingang regeln.«
    »Das will ich ja auch gar nicht. Ich habe einfach nur über das nachgedacht, was ich dort oben auf dem Berg gesehen habe.« Sherry griff nach ihrem Drink und rührte die Eiswürfel mit dem Finger um. »Ich glaube, die Sache hat ihm selbst ziemlich zugesetzt. Warum hätte er sich sonst in den letzten Sekunden seines Lebens an diese schrecklichen Dinge erinnert?«
    »Vielleicht hat er nicht gewusst, dass es seine letzten Sekunden waren«, brummte Brigham. »Das sagst du ja selbst oft. Wie oft hast du mir nicht schon erklärt, dass man Dinge nicht einfach aus dem Kontext herauslösen und willkürlich zusammensetzen darf.«
    Sherry hörte, wie Brigham eine neue Flasche Portwein entkorkte, einen Graham's Jahrgang 1994. Auch wenn sie sich noch so bemühte, sie fand einfach keinen Geschmack an dem Zeug, doch es machte ihr Freude, seine Lieblingsweine vorrätig zu haben.
    »Bist du jetzt fertig damit, dich über mich lustig zu machen?«
    Brigham seufzte hörbar, lehnte sich zurück und hob sein Glas.
    »Es ist mir schon aufgefallen, wie ablehnend du reagierst, wenn ich damit anfange. Kann es vielleicht sein, dass du irgendetwas weißt, was ich nicht weiß?«
    »Lass es lieber sein, Sherry«, sagte Brigham.
    »Ist es das, was ich gesehen habe?«, beharrte sie.
    Brigham seufzte und stellte sein Glas auf den Tisch.
    »Es ist nicht das, was du gesehen hast, Sherry. Es ist der Mann – und wer er war. Wer dieser Sergio Mendoza war.«

4
    Karibik
    Aleksandra spürte die Augen des toten Mädchens auf sich gerichtet, die wie aus einer blutleeren Maske unter dem roten Haar emporstarrten. Nach zwanzig Stunden ist das eine normale Folge der Schwerkraft; wenn das Herz zu pumpen aufhört, strömt das Blut nach unten. Dunkelviolette Flecken bilden sich an den Stellen, wo sich das Blut sammelt, unter den Unterarmen und Oberschenkeln, und manchmal sind die Füße so verfärbt, dass es aussieht, als würde die Leiche schwarze Socken anhaben.
    Auch am Hintern musste sich das Blut stauen, wenngleich man ihren Hintern nicht sehen konnte in der dunklen Brühe aus Dieseltreibstoff, Erbrochenem und Scheiße, die den Boden zehn Zentimeter hoch bedeckte.
    Heute hatten die Mädchen zum ersten Mal seit einer Woche ihre Gesichter sehen können. Heute hatte jemand von der Mannschaft die Dieseldämpfe gerochen und gemerkt, dass ein Treibstofftank leck war. Für zwei der Mädchen war die Entdeckung zu spät gekommen; sie hatten durch die Dämpfe das Bewusstsein verloren und waren mit dem Gesicht nach unten im Dreck gelandet. Als man sie fand, waren sie bereits tot – in den eigenen Exkrementen erstickt, in der stürmischen ersten Nacht auf See.
    Aleksandra blickte zum Licht hinauf.
    Die Öffnung war keine Luke im eigentlichen Sinn. Es sah mehr so aus, als hätte man ein Stück aus dem Boden herausgeschnitten und dann wieder eingesetzt. An dem Dröhnen und Vibrieren der Wände erkannte sie, dass sie in der Nähe der Maschinenräume waren. Sie hatte schon von verborgenen Hohlräumen im Rumpf von Frachtschiffen gehört, in denen irgendeine illegale Fracht geschmuggelt wurde, und zweifelte nicht daran, dass sie hier in einem solchen Hohlraum saßen.
    Sie blickte in die jungen Gesichter um sie herum. Manche sahen aus, als wären sie nicht älter als fünfzehn.
    Bevor die »Luke« geöffnet worden war, hätte Aleksandra nicht darauf gewettet, dass sie auch nur die geringste Überlebenschance hatten. Irgendwann würde der Sauerstoff verbraucht sein und sie würden eine nach der anderen ersticken. Jetzt, wo sie wieder atmen konnten, spürte Aleksandra neuen Lebenswillen in sich. Sie würde nicht sterben, ohne zu kämpfen.
    Sie sah sich in dem engen Frachtraum um und überlegte, dass sie nicht die Ersten waren, die dieses Schicksal erlitten. Das verborgene Abteil war wahrscheinlich eingerichtet worden, um Heroin oder Kokain über die Meere zu befördern. Der Raum war nicht breiter als ihre Schultern, sodass sie übereinandersteigen mussten, um zu einem der beiden Enden zu gelangen, wenn sie sich einmal für einen Moment zurückziehen wollten.
    Wie viele Frauen waren vor ihnen hier drin ums Leben gekommen? Dutzende, Hunderte? Ihr war bewusst geworden, in welcher Gefahr sie schwebten, als sie das Gesicht des Kapitäns herunterblicken sah. Er schrie die Mitglieder der Mannschaft an, dass sie die Zigaretten löschen sollten, damit sich die Dieseldämpfe nicht entzündeten.
    Der

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