Blinde Angst
und bin sofort hergekommen.«
Carol wollte ihre Tochter durchschütteln, damit sie wiederholte, was sie gerade gesagt hatte, in der Hoffnung, dass es beim zweiten Mal mehr Sinn ergeben würde. Aber das Mädchen sah schon verzweifelt genug aus.
»Ich war mir sicher, dass sie längst in der Kabine ist, Mom. Und dass sie sich für das Essen fertig macht.« Tränen traten ihr in die Augen. »Aber da war sie nicht, und ich dachte mir, dass sie bei euch sein muss. Ich habe in eurer Kabine angerufen, aber ihr wart schon weg, und da habe ich mich für das Essen umgezogen.«
Carols Augen wurden glasig. »Wir saßen bei einem Drink mit Ed und Marge zusammen ...« Plötzlich verstummte sie; sie spürte die Wirkung des Champagners, wahrscheinlich lag es an ihrem leeren Magen, vielleicht war es auch etwas, was nur im Kopf passierte – die Gewissheit, dass sich ihre Welt für immer veränderte und nichts mehr so sein würde wie vorher. »Ruf sie an«, sagte sie verzweifelt. »Ruf sie an ihrem Handy an, um Himmels willen.«
»Mom, das versuche ich schon seit zwei Stunden.«
»Ruf in der Bar an, wo ihr etwas getrunken habt – wie hieß sie noch mal?«
»Das habe ich auch schon gemacht.«
Carol blickte auf ihre Füße hinunter und sah, dass einer der weißen Schuhe abgewetzt war. »Sie ist nicht auf das Schiff gekommen?«, sagte Carol mit heiserer Stimme und einem hilflosen Ausdruck in den Augen. »Das hast du doch gesagt.« Sie blickte zum Tisch zurück, zu Bob und dem Kapitän. »Moment«, sagte sie und stolperte zu ihnen. »Bob?«, rief sie. »Bob, ich muss mit dir reden.«
Ein paar Minuten später versicherte ihnen der Schiffskapitän, dass so etwas immer wieder vorkomme. Dass ihre Tochter bestimmt an Bord sei. »Mädchen treffen sich eben manchmal mit Jungen«, meinte er lächelnd und blickte zu der jungen blonden Frau an seiner Seite auf. »Manchmal verdrängt das Herz den Verstand, und dann wagt man ein kleines Abenteuer, ein Rendezvous ...«
Carol beugte sich zum Kapitän hinunter, die Lippen ganz nah an seinem Ohr. »Stehen Sie sofort aus dem verdammten Sessel auf«, flüsterte sie mit eisiger Stimme.
7
Im Westen Haitis
Jill Bishop wachte in kaltem Schweiß gebadet auf, während von den Wänden ihrer engen Zelle die Wärme abstrahlte. Sie war benommen, und ihr war übel von dem brennenden Schmerz unterhalb der Taille. In ihren Mundwinkeln war Erbrochenes eingetrocknet.
Sie bemerkte eine Tür aus Holz mit einem kleinen Sichtfenster in Augenhöhe. Hinter ihr in der Wand war eine zweite kleine Öffnung, durch die etwas Tageslicht hereindrang, ein Belüftungsschlitz.
Es stank nach Schweiß, Kotze und anderen Ausscheidungen. Unter ihren nackten Beinen spürte sie Schmutz und Sand. Irgendjemand hatte ihr die Unterwäsche, Hemd und Rock wieder angezogen, doch ihre Schuhe konnte sie nirgendwo sehen. Sie versuchte den Kopf zu heben, doch die Bewegung jagte ihr einen stechenden Schmerz durch den Kopf. Nach und nach tauchten Bilder in ihrer Erinnerung auf – von einem Raum mit roten Wänden, einem Gynäkologenstuhl, auf dem man sie festgeschnallt hatte. Ihr Kopf war in einer Art Schraubstock fixiert, sodass sie nur die Augen bewegen konnte. Ein alter dunkelhäutiger Mann mit weißen Haaren setzte ihr mit einer Subkutannadel eine Spritze zwischen die Zehen. Auf einem Metalltablett neben ihm standen Flaschen mit dunklen Flüssigkeiten, und in der Ecke sah sie eine Kamera auf einem Stativ.
Noch mehr Männer kamen, um sie anzusehen. Ein großer Fernseher an der Wand zeigte in endlosen Wiederholungen, wie eine Frau mit einer Stange vergewaltigt wurde. Jedes Mal, wenn man ihr den Gegenstand hineinstieß, fuhr sie auf dem Stuhl hoch und schrie, als würde sie einen tödlichen Stromschlag bekommen. Es war genau dieser Stuhl in genau diesem Raum.
Sie sagten ihr, wenn sie nicht gehorche, würde sie von einem Zombie vergewaltigt werden, einem Mann, der mit AIDS infiziert war.
Sie übergab sich erneut, dann drehte sie sich auf die Seite und würgte, bis nichts mehr in ihrem Magen war.
Die mehrfache Vergewaltigung war noch lange nicht alles gewesen. Sie erinnerte sich daran, wie die Drogen zu wirken begannen, wie sie in dem roten Raum die Orientierung verlor, wie sich der alte Mann über ihr Gesicht beugte mit seinen schmutzigen dicken Brillengläsern und den Chirurgenhandschuhen. Während sie sie noch vergewaltigten, brannte er ihr mit einem heißen Eisen die Haut unter dem rechten Auge weg. Es war das Letzte, an das sie sich
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