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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George D Shuman
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wert, als er auf dem Markt für sie bekommen konnte. Wenn er sie am Leben ließ, konnte irgendjemand versuchen, sie zu Geld zu machen, und das hätte die Behörden auf seine Spur gebracht. Und so sah er nur zwei Möglichkeiten.
    Sie zu behalten oder sie zu töten.
    Er beschloss, sie nach Kolumbien mitzunehmen.
    Er beschloss, beides zu tun.

9
    Contestes, Haiti
    Aleksandra nahm die Welt um sich herum durch zwei kleine Öffnungen wahr. Durch die eine in der Holztür konnte sie sehen, wenn eine von ihnen bestraft wurde. Auch wenn man nicht zusehen wollte – den Schreien konnte man sich nicht entziehen. Durch den Belüftungsschlitz in der Rückwand konnte man ein Stückchen blauen Himmel sehen oder das Aufleuchten eines Flugzeugs vor dem nächtlichen Sternenhimmel. Die Lüftungsöffnung hatte unbeabsichtigt die gleiche quälende Wirkung wie das Loch in der Tür.
    Im Moment drückte sie die Wange an die Holztür und blickte durch das kleine Fenster hinaus. »Anmwe! Anmwe!«, rief sie mit einer Stimme, die kaum lauter war als ein Flüstern, zu dem Mann hinaus.
    Der Moment seines Zögerns war unendlich lang, bis er zu ihr hersah. Sein Blick huschte rasch den Gang hinunter, bevor er sich der Tür zuwandte.
    »Souple anmwe«, flehte sie.
    Der Mann mit der grünen Hose kam auf sie zu und kniff die Augen zusammen, als er durch das kleine Sichtfenster in ihre Zelle blickte.
    Sie hatte nicht gedacht, dass sie wie benommen sein könnte, wenn er wirklich herkommen sollte, doch jetzt war er da, und sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.
    »Ki yès sa?«, flüsterte der Mann zögernd.
    Sie riss sich zusammen und bemühte sich, nicht zu stammeln, als er zu ihr hereinsah. Neben dem Gefühl der Erleichterung war es ihr, wie sie jetzt feststellte, auch peinlich, dass jemand sie so sah. Aber die Situation war nun einmal so, und für solche Dinge war jetzt absolut keine Zeit. Sie musste den Moment klug nützen.
    »Souple, van mwen kreyon paye.«
    Sie hatte ihn um Papier und Bleistift gebeten. Sie kannte nur wenige Worte seiner Sprache, deshalb wollte sie es lieber aufschreiben. Sie musste sichergehen, dass er auch wirklich verstand, was sie meinte. Sie musste ihn dazu bringen, dass er ihre Botschaft jemandem draußen übergab.
    »Souple, ban mwen«, – bitte geben Sie mir – »paye kreyon. Prese, prese!« – Papier und Bleistift. Bitte, schnell!
    An seinem Blick konnte man nicht erkennen, ob er sie verstanden hatte. Er sah aus, als hätte er gerade einen furchtbaren Unfall mit angesehen, als er von der Zellentür wegging. Mitleid und auch Ekel bestimmten seine Miene – und sie konnte es ihm nicht verübeln. Sie konnte nur erahnen, wie sie mittlerweile aussah – halb nackt, das Gesicht von einer Totenkopf-Tätowierung entstellt. Ganz zu schweigen von dem blonden Mädchen, das hinter ihr zusammengekauert in einem Winkel lag. Jill hatte begonnen an ihrem Daumen zu lutschen. Sie beide boten bestimmt ein erschütterndes Bild.
    Und hatte sie es überhaupt richtig gesagt? Hatten die Worte für ihn einen Sinn ergeben? Das wenige Kreolisch, das sie verstand, hatte sie von den Wächtern gelernt, denen sie bei ihren Gesprächen zugehört hatte. Was ihr half, war, dass sie an der Universität in Warschau Französisch studiert hatte.
    Aber die wichtigere Frage war vielleicht, ob er es wagen würde, das zu tun, worum sie ihn gebeten hatte. Würde er wiederkommen oder würde er Bedard melden, was sie gesagt hatte?
    Deshalb war sie auch so erschrocken, als er wegging, ohne etwas zu antworten. Es war, als würde man die Hoffnung selbst weggehen sehen, wie sie mit jedem Schritt ein wenig kleiner wurde. Mit jedem Schritt wuchs ihre Angst, dass sie ihn nie wiedersehen würde.
    Der Mann mit der grünen Hose war erst vor einer Woche im Schloss aufgetaucht. Er war zusammen mit Bedard in den Keller gekommen und breitete eine Karte auf der hölzernen Plattform aus. Der Mann mit der grünen Hose klopfte mit einem Hammer gegen die alten Wände. Dann gingen sie wieder weg. Zwei Tage später kehrte er zurück, und dann begann das Bohren. Der Mann mit der grünen Hose bohrte in regelmäßigen Abständen faustgroße Löcher hoch oben in die Wände.
    Sie drückte ein Auge an das Guckloch in der Tür und sah ihm nach. Die Wächter hatten sich wieder einmal irgendwo zusammengesetzt, um sich zu betrinken. Wahrscheinlich saßen sie längst bei der zweiten oder dritten Flasche Rum an diesem Tag; sie hatte sie schon vor einiger Zeit lachen gehört. Sie würfelten

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