Blinde Angst
dass die Geschichte aus Bulgarien wahr ist. Kokain aus Kolumbien wird ostwärts nach Bulgarien geschmuggelt, und ukrainische Frauen werden auf denselben Schiffen nach Westen gebracht. Das ist nur logisch.«
»Und Haiti ist nicht weit von hier«, fügte George hinzu.
»Haiti ist bekannt als Umschlagplatz des südamerikanischen Kokainhandels, und durch seine Nähe zu Brasilien ist es auch für den Menschenhandel interessant. Aber wir haben noch nichts Konkretes gefunden. Wir haben einfach keine handfesten Informationen.«
»Die Tätowierung zeigt Baron Samedi«, erläuterte George. »Baron Samedi wird immer als Totenkopf mit Zylinder dargestellt.«
»Ja«, antwortete Dantzler, »ein haitianisches Symbol. Ich weiß schon, was Sie mir sagen wollen, Inspektor.«
»Das ist Voodoo«, fuhr der Inspektor fort. »Haben Sie Leute in Haiti?«
»Unsere Ressourcen sind, gelinde gesagt, sehr beschränkt.«
»Was ist mit Überwachung?«
»Die amerikanische DEA ist sehr aktiv in der Karibik, aber ihre Bemühungen konzentrieren sich ganz auf das, was von Südamerika weggeht, nicht auf das, was hineinkommt.«
George brummte frustriert.
»Ihr Flugzeug könnte einem dieser Händler gehören, Inspektor George, und es ist vielleicht nach Haiti geflogen, vielleicht aber auch weiter in die Dominikanische Republik oder nach Puerto Rico oder Grenada. Ich erinnere mich gut an Sie, Inspektor George«, fügte Dantzler in für ihn ungewöhnlich freundlichem Ton hinzu, »und ich habe mit Premierministerin Simpson-Miller gesprochen. Sie hat mir gesagt, dass Sie ihr meine Grüße ausgerichtet haben, danke. Sie hat mir auch gesagt, dass Sie ein kluger Mann sind.«
Dantzler zögerte einen Moment.
»Bleiben Sie bitte in der Nähe des Telefons, Inspektor George, ich muss einen Anruf machen. Vielleicht gibt es da jemanden, der Ihnen helfen kann.«
14
Philadelphia, Pennsylvania
Ein elektronischer Ton erklang. Das Band unter Sherry Moores Füßen wurde langsamer; es war die letzte von vierzig Minuten, in denen sie sieben Kilometer gelaufen war. Sie nahm sich ein Handtuch und wischte sich das Gesicht ab, während das Laufband zum Stillstand kam. Das Telefon hatte in der vergangenen halben Stunde zweimal geklingelt. Sie holte sich eine Wasserflasche aus einem Minikühlschrank und ging quer durch den Wintergarten zu einem bequemen Sessel und dem Telefon. Sie griff nach dem Hörer und drückte einen Knopf, um die Nachrichten abzuhören.
Der erste Anrufer war falsch verbunden. Der zweite Anruf kam von einem Mann mit einem deutschen Akzent. Er hatte eine Nummer mit der Landesvorwahl 33 hinterlassen -Frankreich, wie sie wusste. Sie hatte Freunde in Rennes, die öfter anriefen.
Es war November, und der Schnee war nicht mehr fern -normalerweise nicht gerade ihre Jahreszeit, doch Sherry hatte das Gefühl, dass es ein gutes Jahr war, vielleicht sogar ein heilsames. Sie hatte sich fest vorgenommen, dass sie diesmal auch die kalte Jahreszeit für gute und sinnvolle Dinge nützen würde. Es musste schließlich nicht sein, dass man jedes Jahr vier Monate einfach sinnlos verstreichen ließ. Das war, als würde man ein Drittel seines Lebens einfach wegwerfen.
Sie lächelte und dachte, dass sich ihr alter Freund John Payne im Grab umdrehen würde, wenn er wüsste, dass sie anfing, auch dem Winter etwas abzugewinnen und sich sogar auf die Festtagsstimmung zu freuen.
Sie wählte die Nummer und wartete. Sie hatte sich für einen Thanksgiving-5K-Lauf in Philadelphia angemeldet, um die United States Association of Blind Athletes zu unterstützen. Außerdem würde sie einen Vortrag am Health Sciences Center der Temple University halten, ein Gefallen, den sie ihrem Freund Garland Brigham tat, der zweimal wöchentlich an der Universität Meereswissenschaft unterrichtete. Nach ihrem Erlebnis auf dem Denali hatte sie zudem überlegt, ob sie nicht einen Skikurs für Blinde in Vermont absolvieren sollte, aber das wäre erst im Januar. Das für sie Bemerkenswerteste war jedoch, dass sie sich vornahm, eine Weihnachts-CD zu kaufen, etwas von Il Divo, hatte sie sich gedacht. Wenn es etwas gab, mit dem sie die Leute, die sie kannten, schockieren konnte, dann war es Weihnachtsmusik aus ihrer Stereoanlage.
Ich glaub, ich träume, würde ihr Nachbar Garland Brigham sagen.
»Interpol«, meldete sich eine Frau.
»Sherry Moore«, sagte sie zögernd. »Ich habe Ihre Nummer auf meinem Anrufbeantworter gefunden.«
»Ja, Miss Moore. Mr. Dantzler möchte Sie sprechen, einen
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