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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George D Shuman
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Fahrt zurück zur Nordküste Jamaikas würde nicht ganz eine Stunde dauern. Unter normalen Umständen hätte er das Ministerium angerufen und seine Ermittler nach Port Antonio kommen lassen, um ihnen den Fall zu überlassen. Doch das hier war kein normaler Fall, und Roily King George, der Chefermittler der Jamaica Constabulary Force, wusste, dass er keine Zeit verlieren durfte. In diesem Fall musste er einen ganz anderen Anruf machen.
    Er stieg die Leiter zur Flying Bridge hinauf und setzte sich an die Konsole. Um ihn herum warfen Wolken ihre Schatten, die wie Trittsteine auf dem seichten Wasser aussahen. Er scrollte durch die Nummern auf seinem Handy, bis er zu dem Eintrag »1-24/7« kam.
    Und er wählte die Nummer.
    Einige Minuten später wurde er mit einer internationalen Vermittlungsstelle verbunden, und dann mit dem Nationalen Zentralbüro von Interpol in Frankreich.
    »Helmut Dantzler, bitte.«
    Er wartete fast eine Minute, ehe sich ein älterer Mann meldete. »Er ist nicht erreichbar«, sagte er trocken.
    »Haben Sie eine Handynummer, unter der man ihn erreichen kann?«
    »Ich fürchte, er ist in einem Funkloch, Monsieur. Kann ich eine Nachricht weitergeben, oder vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
    Ein Funkloch konnte einiges heißen. Vielleicht war er in irgendeiner abgelegenen Gegend, vielleicht war er auch nur im Keller und trank Tee.
    »Ich muss ihn unbedingt sofort sprechen«, beharrte der Inspektor. »Sie müssen ihm sagen, dass es sehr wichtig ist.«
    »Er hört die Nachrichten regelmäßig ab«, meinte der Mann. »Wer, soll ich ihm sagen, hat angerufen?«
    Rolly King George gab ihm seinen Namen und die Handynummer. Dann beendete er das Gespräch und lenkte das Boot in tiefere Gewässer. Er beschleunigte, dass sich der Bug aus dem Wasser hob und die Propeller die ruhige See aufschäumen ließen. Sein Blick ging wieder nach Osten. Etwa 130 Kilometer entfernt lag die gebirgige Küste Haitis. Ob das Flugzeug nach Haiti flog? Vielleicht war es auch aus Haiti gekommen? Er sah auf die Tote hinunter, die unten beim Heckbalken lag. Etwas mehr als ein Jahr war vergangen seit der Konferenz in Alberta. Damals hatte er diesen Bericht aus Bulgarien gehört – über junge Frauen, denen ein Totenkopf ins Gesicht tätowiert wurde.
    In diesem Jahr seit dem Symposium in Alberta musste doch irgendjemand neue Informationen zu dieser Geschichte erhalten haben. Eine Organisation, die die Gesichter von Frauen tätowierte, konnte kaum verborgen bleiben.
    Inspektor George hatte einen Bootsanlegeplatz in Port Antonio, doch im Jachthafen dort wimmelte es von Touristen und lokaler Polizei. Er wollte kein Aufsehen erregen, im Moment nicht einmal das seiner Kollegen. Jeder, der das Gesicht des Mädchens sah, würde wissen, dass sie nicht ertrunken war. Man sah sofort, dass sie schwere Verletzungen erlitten hatte. Schlimmer noch, man würde die Tätowierung in ihrem Gesicht sehen – und das Letzte, was er wollte, war, dass etwas von der Tätowierung zu den Medien durchsickerte, bevor er mit Interpol gesprochen hatte.
    Er lenkte das Boot zur Bucht von Frenchman's Cove. Er kannte diese Bucht, seit er als Junge mit seinem Großvater hier mit dem Kajak unterwegs gewesen war. Seine Großmutter hatte einen Grillstand in der Nähe.
    Es würde ihn wohl jemand sehen, wenn er die Tote dort aus dem Boot hob, das ließ sich nicht vermeiden, aber es würde wenigstens niemand ihr Gesicht sehen. In dem kleinen Jachthafen würde er sie ungestört vom Boot zu seinem Pick-up tragen können.
    Diese Bucht stand am Beginn seiner Liebe zum Meer, sie war ein magischer Ort für die Fantasie eines Jungen. Hier hatten einst Piraten verkehrt, vielleicht sogar, um ihre Schätze zu vergraben. Er erinnerte sich an die Geschichten seines Großvaters über Geistererscheinungen an den Stränden unterhalb von Fairy Hill oder an der Biegung eines Weges, den sie »See-Me-No-More« nannten. Geister, die ihr Beutegut mit sich schleppten oder entführte Sklaven zu ihren Barkassen trieben, die sie zum Mutterschiff auf dem Meer ruderten.
    Er wusste, dass diese »Geister« einst Menschen aus Fleisch und Blut waren. Er wusste auch, dass Menschen aus Fleisch und Blut diese Tradition fortsetzten und Rum und Marihuana zwischen den Inseln und Südamerika hin und her schmuggelten, später dann vor allem Kokain und Heroin. In den nächtlichen Gewässern der Karibik herrschte ein reges Treiben, seit die Inseln eine Geschichte hatten. Und verschwundene Mädchen waren in dieser

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