Blinde Angst
antwortete ihr.
Carol kratzte sich am Handrücken. »Sie haben gehofft, dass Sherry Moore Ihnen etwas verraten könnte – etwas, das nur meine Tochter wissen konnte. Sie haben gehofft, dass sie Ihnen sagen könnte, wo Jill war, dass sie Ihnen den Ort beschreiben könnte. Und das hätten Sie nicht gemacht, wenn Sie nicht schon eine Ahnung gehabt hätten, wo Sie suchen müssen.«
Carol blickte in die Runde und sah jedem von ihnen ins Gesicht. »Wenn das FBI einmal da ist, werden Sie von den weiteren Ermittlungen ausgeschlossen sein. Ich weiß, wie die Dinge laufen. Ich weiß, dass meine Tochter nicht in Jamaika war, als sie starb. Sie war in internationalen Gewässern, und ich weiß, dass man sich in der Karibik nicht weiter um ein vermisstes Mädchen aus Chicago kümmert. Also, wie lange wird es dauern, bis das nächste Mädchen vom Himmel fällt, Inspektor George? Wie viele Mädchen müssen noch sterben, bis Sie wieder eine solche Chance bekommen? Bis die Tochter einer anderen Mutter in einem Leichenhaus landet, mit der Tätowierung des Teufels im Gesicht?«
Brigham überlegte im Stillen weiter, was Sherry wohl dachte. Etwa dass der Mann im Flugzeug mit dem Maschinengewehr das Mädchen nicht aus dem Flugzeug geworfen hatte. Jill Bishop war freiwillig gesprungen.
Das hatten die Entführer nicht gewollt; ihnen war ein Fehler unterlaufen, und nur aufgrund dieses Fehlers hatten sie Jills Leiche gefunden. Wäre das nicht passiert, dann wäre Jill jetzt weiß Gott wo, und niemand würde sie je wiedersehen. Und wenn es nicht Inspektor George gewesen wäre, der sie fand, dann hätte niemand Helmut Dantzler von Interpol angerufen, der wiederum wusste, was die Entwicklungshelferin von World Freedom letzte Woche in Haiti gehört hatte. Egal, wie man es nannte, Zufall oder göttliche Fügung, es war jedenfalls eine Chance, und Sherry würde sich diese Chance nicht entgehen lassen.
»Sherry«, sagte Brigham streng. Er sah es ihr am Gesicht an; sie war offensichtlich entschlossen zu handeln. »Sherry ... «
Sherry legte ihm die Hand auf den Arm und tätschelte ihn, um ihn zum Schweigen zu bringen. Sie wandte sich Carol zu. »Mrs. Bishop, würden Sie uns bitte einen Moment allein lassen? Wir treffen uns dann oben auf der Veranda, sobald wir fertig sind.«
Carol sah die drei eindringlich an. Dann schob sie den Sessel zurück und stand auf.
»Tun Sie das Richtige«, sagte sie. Dann ging sie hinaus.
Rolly King George griff nach einer Gabel und drehte sie in seinen großen Händen herum. Eine Minute verging, und keiner sprach ein Wort.
»Sie sieht es Ihnen am Gesicht an«, sagte Inspektor George schließlich, ohne aufzublicken.
Sherry wandte sich ihm zu. »Wie bitte?«
»Seit Sie bei dem Mädchen waren, wirken Sie beunruhigt. Vielleicht haben Sie etwas gesehen, was Sie nicht erwartet hatten. Vielleicht macht es Ihnen sogar Angst.«
George legte die Gabel auf den Tisch und faltete die Hände. »Helmut Dantzler hat mir wohl auch nicht die ganze Geschichte erzählt, nicht wahr? Er weiß mehr über die Totenkopf-Tätowierung, als er mir verraten wollte, und deshalb hat er Sie hergeschickt. Also, Miss Moore. Haben Sie vor, mich mit Mrs. Bishop und ihrer Tochter hier zurückzulassen, ohne dass wir der Lösung einen Schritt näher gekommen sind?«
Sherry atmete tief ein und schüttelte den Kopf. »Nein, Inspektor, das habe ich nicht vor. Mr. Dantzler hat mich wegen etwas hergebeten, das ich vor einem Monat gesehen habe. Ein Mann ist bei einem Kletterunfall in Alaska ums Leben gekommen; damals wurden einige Bergsteiger von einem Sturm überrascht. Man hat angenommen, dass es Überlebende geben könnte, aber man wusste nicht, wo sie waren – und so haben sie mich geholt, um zu helfen. Als ich die Hand des toten Bergsteigers berührte, sah ich ein Schloss in einem tropischen Dschungel. Dasselbe Schloss, das ich gestern durch Jill Bishops Augen sah. Ich habe damals auch noch andere Dinge gesehen – eine Frau, die gefoltert wurde. Sie hatte eine Tätowierung im Gesicht. Dieselbe Tätowierung, wie Jill Bishop sie hat.« »Warum hat mir Dantzler das nicht gesagt?« Sherry ging nicht auf die Frage ein. »Damals wusste ich nicht mehr als den Namen des Toten, Sergio Mendoza; ein recht häufiger lateinamerikanischer Name, obwohl wir annahmen, dass er US-amerikanischer Staatsbürger sei. Das Schloss, das ich in seinen Gedanken sah, konnte an irgendeinem Ort auf der Welt stehen, den er einmal besucht und an den er sich kurz vor dem Tod
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