Blinde Angst
jemanden in der Karibik, der bei einer Pressekonferenz mit einem solchen Medieninteresse rechnen könnte wie Carol Bishop. Die ganze Welt würde auf das hören, was sie zu sagen hat, und darauf warten, was der Präsident von Haiti unternimmt. Sie würden sich kaum darum kümmern, woher die Informationen kommen. Sobald sie sagt, dass sie in Haiti war und von diesem Schloss gehört hat, werden die Augen der ganzen Welt auf das Land gerichtet sein.«
Inspektor George schien über die Möglichkeit nachzudenken.
»Nur scheint ihr alle zu vergessen, wie gefährlich Haiti ist«, warf Brigham ein. »Wie kannst du auch nur daran denken, dorthin zu gehen, Sherry? Das Land ist praktisch gesetzlos.«
»Ich muss es tun, Garland«, beharrte Sherry.
»Er hat recht, Miss Moore«, meinte der Inspektor. »Wenn es Probleme gibt, wird Ihnen die Polizei nicht helfen. Sie würden Sie vielleicht sogar an die Händler ausliefern.«
»Es wird keine Probleme geben, wenn wir jetzt sofort handeln, und es ist eine Gelegenheit, die sich der Polizei vielleicht nie wieder bietet. Niemand erwartet uns. Niemand weiß, was dieses Mädchen von seinem Vater gehört hat oder dass sich diese Entwicklungshelferin an Interpol gewandt hat. Niemand weiß, dass Carol Bishop gestern Abend in einem Leichenhaus in Jamaika ihre Tochter identifiziert hat. Wir wären nur zwei Touristinnen, die nach Haiti reisen – sie würden gar nicht mitbekommen, dass wir überhaupt da waren.«
»D-du und Carol Bishop?«, stammelte Brigham.
»Wir nehmen in der Dominikanischen Republik einen Bus. Dort gibt es keine Terroristen, die nach Haiti wollen. Glaubst du, sie sehen sich jeden Pass von jeder weißen Frau an, die über die Grenze kommt? Das Land ist voll mit christlichen und anderen regierungsunabhängigen Hilfsorganisationen. Leute aus aller Welt kommen und gehen.«
Brigham runzelte missbilligend die Stirn. Sie würde sich nicht aufhalten lassen, das wusste er.
»Das FBI wird nicht erfreut sein, wenn Sie die Identifizierung von Jill Bishop mit Verspätung bekannt geben«, sagte Brigham, zum Inspektor gewandt. Es war ein schwaches Argument, das war ihm selbst bewusst. Er wusste auch, was Carol Bishop zu der Sache sagen würde. Soweit er das einschätzen konnte, würde sie sich ohne zu zögern auf Sherrys Plan einlassen.
Brigham verschränkte die Arme und schwieg.
Roily King George studierte Sherrys Gesicht. »Ich könnte sagen, dass wir noch die Todesursache feststellen müssen und dass wir auf wissenschaftliche Beweise zur zweifelsfreien Feststellung der Identität warten wollen. Das würde uns noch einen Tag bringen, aber nicht mehr, Miss Moore.«
Sie wandte sich Brigham zu. »Wenn Carol Bishop es machen will, dann müssen wir noch heute Nachmittag nach Haiti aufbrechen.«
Brigham nickte grimmig. »Und was ist mit mir? Soll ich hier sitzen und mir Sorgen machen, während ihr zwei in Haiti seid?«
»Wir suchen uns ein Hotel in der Dominikanischen Republik und nehmen morgen früh den Bus nach Pétionville. In Haiti mieten wir einen Wagen und wären in vierundzwanzig Stunden wieder zurück. Je weniger wir sind und je unauffälliger wir auftreten, umso leichter wird es sein. Wenn an der Grenze kontrolliert wird, würde es sicher auffallen, wenn ein Admiral der U.S. Navy ins Land kommt. Aber eine blinde Frau und ihre Begleiterin werden die Grenzpolizisten sicher nicht kontrollieren. Es wäre jetzt das Beste, wenn ich Carol Bishop alles sage, was wir wissen. Wenn sie mitmacht, müssen wir gleich aufbrechen.« Sherry erhob sich. »Führst du mich zu ihr, Garland?«
Carol Bishop war, wie erwartet, sofort bereit, mit Sherry nach Haiti zu gehen.
Brigham holte sich die New York Times und sagte, dass er in der klimatisierten Lobby warten würde, bis sie bereit zum Aufbruch waren. Sherry fragte sich mittlerweile, ob es nicht ein Fehler war, ihn nach Jamaika mitzunehmen. Sie wusste, dass sie ihn in eine schwierige Situation gebracht hatte und dass er sich jetzt ihretwegen Sorgen machte. Es war das Letzte, was sie wollte, nachdem sie ihn ja mitgenommen hatte, um ihn ein wenig aufzuheitern. Sie nahm sich jedenfalls vor, das später irgendwie wiedergutzumachen.
Sherry hörte Stimmen, die von der Brise über die Terrasse zu ihr getragen wurden: Roily King George und Carol Bishop näherten sich ihr vom Swimmingpool her. Sie sprachen über eine eventuelle Autopsie und darüber, was mit den sterblichen Überresten ihrer Tochter geschehen soll.
George setzte sich zu Sherry an
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