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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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gehört, daß Hanne Wilhelmsen am Freitagabend erst gegen halb acht wieder im Büro gewesen war. Das konnte bedeuten, daß sie keine besondere Lust gehabt hatte, die zwanzig Minuten zu warten, die der vorsintflutliche Kopierer zum Aufwärmen brauchte.
    Seine Theorie verfestigte sich, als er das dritte und letzte Büro durchsucht hatte, Kaldbakkens Schlupfloch. Wenn weder Wilhelmsen noch der Hauptkommissar Kopien hatten, war es mehr als wahrscheinlich, daß es nur das Original gab. Und das steckte in seiner Jackentasche.
    Einige Minuten darauf steckte es nicht mehr dort. Erst war es durch den Reißwolf gedreht worden, bis es nach einer trockenen, mißratenen Portion Spaghetti ausgesehen hatte. Danach durfte es in einem Schüsselchen liegen, bis die Flammen es vollständig vernichtet hatten. Schließlich wurden die Reste in ein Stück Klopapier gewickelt und in der Toilette versenkt. Die lag ganz hinten im unsichtbaren Stockwerk des Polizeigebäudes. Der Mann vom Überwachungsdienst spülte die letzten kleinen Rußpartikel aus der Kloschlüssel, und damit war Hanne Wilhelmsens Regenfahrt nach Vestfold vollständig sinnlos geworden.
    In seinem Büro griff er zum Mobiltelefon und wählte die Nummer eines der beiden Männer, mit denen er vor einigen Tagen in der Platous gate gesprochen hatte.
    »Jetzt bin ich wirklich bis zum Äußersten gegangen«, sagte er leise, wie aus Achtung vor dem schlafenden Haus. »Karen Borgs Aussage ist nicht mehr vorhanden. Es ist verdammt mies, Kollegen so was anzutun. Den Rest müßt ihr selbst schaffen.«
    Er wartete nicht auf Antwort, sondern brach das Gespräch ab. Dann trat er ans Fenster und starrte auf Oslo hinunter. Die Stadt lag schwer und müde unter ihm, sie sah aus wie ein mit Meeresleuchten überströmter alter, schlafender Wal. Müde und alt war er selbst auch. So alt wie lange nicht. Nach einer Weile schienen seine Augen sich mit Sand zu füllen, und er mußte sie zusammenkneifen, um die kleinen hüpfenden Lichtpünktchen da tief, tief unter ihm anzuhalten. Er seufzte und legte sich auf ein kleines und sehr unbequemes Sofa, um auf den Arbeitstag zu warten. Vor dem Einschlafen dachte er es noch einmal: Es ist verdammt mies, Kollegen so etwas anzutun.

MONTAG, 30. NOVEMBER
    »Kein Wunder, daß diese Burschen so lange durchhalten. Die haben ihre Leute derart im Griff, so was habe ich noch nie gesehen. Nicht in der Drogenszene. Sehr seltsam. Sagt er gar nichts?« Kaldbakken war aufrichtig verblüfft. Er hatte früher einmal sechs Jahre in der Drogenabteilung verbracht und wußte, wovon er redete.
    »Nun haben wir ja auch nicht gerade viel über diesen Knaben«, stellte Hanne Wilhelmsen düster fest. »Bedrohung von Staatsbeamten reicht nicht für einen kurzen Ferienaufenthalt in einer netten kleinen Zelle. In der Hinsicht bringt es ihm viel, wenn er die Klappe hält. Er scheint vor Angst zwar außer sich zu sein, aber trotzdem behält er einen klaren Kopf. Er ist sogar schlau genug zuzugeben, daß er auf Billy T. gezielt hat. Also müssen wir ihn heute laufen lassen. Wir haben nichts in der Hand, um ihn hierzubehalten. Wenn er gesteht, haben wir nicht mal mehr die Gefahr der Beweisvernichtung.«
    Natürlich konnten sie den Mann beschatten. Natürlich konnten sie ihn einige Tage im Auge behalten. Aber wie lange? Ein Großteil ihrer Kapazität war schon für Roger aus Sagene verplant. Wenn Lavik heute freigelassen werden mußte, würden sie ganz einfach Personalprobleme bekommen. Die ließen sich vielleicht kurzfristig lösen, das schon, aber diese Jungs würden sich in den nächsten Tagen und Wochen nichts zuschulden kommen lassen. Wahrscheinlich würden sie erst in Monaten wieder etwas Interessantes unternehmen. Und das würde die Polizei nicht mitbekommen. Ganz einfach weil der Etat solche Extravaganzen nicht gestattete. Nicht einmal bei einem Fall von solchen Dimensionen. Sie hatten die schlechteren Karten. Wie üblich.
    Håkon hatte nichts gesagt. Den hatte die Apathie übermannt. Er hatte Angst, war traurig und zutiefst enttäuscht. Seine grauen Schläfen waren noch grauer geworden, sein Sodbrennen schärfer, seine feuchten Hände feuchter. Nun hatte er nur noch Karens Aussage. Und es war die Frage, ob die reichen würde. Resigniert erhob er sich und verließ wortlos die Besprechung. Drückendes Schweigen überkam die anderen.
    Die Aussage lag nicht da, wo er sie hingelegt hatte. Zerstreut öffnete er ein paar Schubladen. Konnte er sie dort hingelegt haben? Nein, er fand nur

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