Blinde Goettin
konnten ihm aber nie was nachweisen. Ein Medizinstudent mit feinen Angewohnheiten. Wohnt nett und adrett in Røa, in einem netten und adretten Dreifamilienhaus. Fährt ein etwas zu nettes und adrettes Auto und umgibt sich mit Damen, die alles andere sind als adrett. Aber sicher nett. Unsere Leute hatten den Eindruck, daß er in seiner Wohnung eine nette kleine Party feierte, und wir beschlossen, das mal zu überprüfen. Volltreffer. Die Jungs haben vier Gramm und eine richtig schöne kleine Partie Hasch gefunden. Ole war klar, daß er nicht so früh heim zu seiner Frau kommen würde wie abgemacht. Eine volle Wohnungsdurchsuchung würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Der Typ hatte unglaublicherweise aber kein Telefon, und deshalb schellte unser kleiner Ole beim Nachbarn, einem Mann um die Dreißig. 1961 geboren, um genau zu sein.« Wieder tanzten seine Finger über den kleinen Computerausdruck aus dem Archiv der Polizei. »Natürlich hat niemand gern samstags abends um halb zwölf die Polizei auf der Matte stehen, aber es ist doch nicht so schlimm, daß du austicken und ihnen die Tür vor der Nase zuknallen mußt.«
Hanne Wilhelmsen wunderte es nicht im geringsten, daß irgendwer Ole Andersen die Tür vor der Nase zuknallte. Er hatte Haare bis zur Taille und protzte damit, daß er sie alle vierzehn Tage wusch, »ob das nun nötig ist oder nicht.« Er hatte einen Mittelscheitel wie ein Hippiefossil, und aus dem Vorhang von Haaren ragte eine unglaublich große, pickelige Nase hervor, über einem Vollbart, um den Karl Marx ihn beneidet hätte. Kein Wunder, daß die Leute Angst kriegen, dachte sie, hielt aber weise die Klappe.
»Etwas Blöderes hätte er wirklich nicht tun können. Ole klingelte noch einmal, und der arme Wicht mußte schließlich aufmachen. Das Dumme war nur, daß er ein paar Minuten allein in der Wohnung hatte. Und das Phantastische ist, als er dann endlich aufmachte …« Billy T brüllte vor Lachen. Sein Lachen wurde immer noch lauter, und auch Hanne mußte ein wenig schmunzeln, obwohl sie keine Ahnung hatte, was eigentlich so umwerfend komisch war. Billy T. riß sich zusammen. »Und als er dann endlich aufmachte, hielt er die Hände hoch.« Wieder brach er zusammen. Und jetzt lachte auch Hanne. »Er hielt die Hände hoch, wie im Film, und ehe Ole überhaupt irgend etwas sagen konnte – er hatte ihm doch bloß seinen Dienstausweis hingehalten –, stellte sich der Typ breitbeinig an die Wand. Ole kapierte überhaupt nichts mehr, aber immerhin ist er lange genug in der Branche, um zu raffen, wenn etwas stinkt. Im Schuhregal stand der verschwundene Stiefel. Unser kleiner Ole zog meinen Steckbrief aus der Tasche und verglich. Volltreffer. Der Typ stand an der Wand und heulte, die Pfoten hatte er platt auf die Tapete gepreßt.«
Beide keuchten inzwischen vor Lachen, und ihre Tränen strömten.
»Und dabei wollte Ole doch bloß telefonieren!«
So schrecklich komisch war das alles vielleicht doch nicht. Aber es war Nacht, und sie waren erleichtert. Verdammt erleichtert.
»Das hier haben sie in der Wohnung gefunden«, sagte der Polizist und bückte sich schwerfällig nach einer Tüte, die zu seinen Füßen stand.
Eine feinkalibrige Pistole fiel auf den Tisch. Ihr folgte ein ausgelatschter Winterstiefel, Größe 44, und ließ sich zu Hannes Füßen nieder.
»Das ist doch wirklich kein Grund fürs große Zittern«, stellte Hanne zufrieden fest. »Der kann sicher noch mehr liefern.«
»Verpaß ihm eine Hanne Wilhelmsen spezial. Morgen. Und jetzt gehst du nach Hause und amüsierst dich noch eine Runde.«
Genau das tat sie.
SONNTAG, 29. NOVEMBER
»Wackelpudding, Gelee, Espenlaub, such dir was aus. Du zitterst dermaßen, daß ich davon ausgehe, daß du dir gleich vor Angst in die Hosen machst – wenn du mir nicht ein ärztliches Attest dafür liefern kannst, daß du an Parkinson in fortgeschrittenem Stadium leidest!«
Das hätte sie nicht sagen sollen. Langsam breitete sich unter seinen Stuhlbeinen eine Pfütze aus, die sich immer weiter ausdehnte, bis sie alle vier Stuhlbeine berührte. Sie seufzte vernehmlich, öffnete das Fenster und beschloß, ihn eine Zeitlang mit nasser Hose dasitzen zu lassen. Nun weinte er auch ein wenig. Ein jämmerliches, armseliges Weinen, das keinerlei Mitgefühl in ihr weckte, sondern sie einfach nur irritierte.
»Hör mit dem Geflenne auf! Ich bring’ dich ja nicht um.«
Diese Beteuerung half nichts, er wimmerte weiter, tränenlos und provozierend wie ein
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