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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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kleine Scheune, die von der Straße her kaum zu sehen war, diente möglicherweise als Garage. Håkon wußte nicht so recht, ob sie meinte, daß er weiter versuchen sollte, ein Auto anzuhalten. Er ging hinter ihr her und vernahm keinen Protest.
    »Klingel mal, vielleicht ist ja doch jemand zu Hause«, rief sie ihm zu und rüttelte an der Scheunentür. Sie war nicht verschlossen. Kein Auto. Aber ein Motorrad. Eine Yamaha FJ, 1200 Kubik. Das Modell des Jahres. Mit ABS-Bremsen.
    Hanne Wilhelmsen verachtete Reiskocher. Nur eine Harley war ein Motorrad. Alles andere waren zweirädrige Beförderungsmittel. Ausgenommen vielleicht die Motoguzzi, auch wenn die aus Europa kam. Trotzdem hatte sie sich insgeheim immer ein wenig zu den fetzigeren japanischen Rädern hingezogen gefühlt. Besonders zur Eff-Jott.
    Die schien in fahrbarem Zustand zu sein, abgesehen davon, daß die Batterie herausgenommen worden war. Es war Dezember. Wahrscheinlich stand das Rad schon mindestens drei Monate hier herum.
    Die Batterie stand auf einer aufgeschlagenen Zeitung, schön sauber und vorschriftsmäßig für den Winter gelagert. Hanne riß einen Schraubenzieher an sich und verband die Pole miteinander. Funken sprühten, und nach wenigen Minuten begann der dünne, äußere Teil des Metalls schwach zu glühen. Strom genug.
    »Niemand zu Hause«, rief Håkon von der Tür her.
    Auf einem Regal lag ausreichend Werkzeug, ungefähr das gleiche wie bei Hanne zu Hause im Keller. Rasch fand sie, was sie brauchte, und in Rekordzeit war die Batterie an Ort und Stelle. Sie zögerte kurz.
    »Im Grunde ist das Diebstahl.«
    »Nein, das ist Notrecht.«
    »Notwehr?« Sie begriff das nicht ganz und glaubte, er habe sich in der Aufregung versprochen.
    »Nein, Notrecht. Das erklär’ ich dir später.« Wenn ich dazu noch Gelegenheit habe, dachte er.
    Obwohl es ihr in die Seele schnitt, ein neues Motorrad zu ruinieren, brauchte sie nur dreißig Minuten, um die Zündung zu koppeln. Mit einem Ruck zerbrach das Zündschloß. Der Motor brummte gleichmäßig und verheißungsvoll. Sie durchsuchte den Schuppen nach dem Helm, fand ihn aber nicht. Natürlich nicht, vermutlich lagerten in der Wärme des kleinen, verschlossenen Hauses zwei teure BMW- oder Shoeihelme. Sollten sie einbrechen? Hatten sie dafür noch Zeit?
    Kaum. Sie mußten ohne fahren. In einer Ecke hing neben vier Alpinskiern, die an der Wand festgeschnallt waren, an einem Haken eine Slalombrille. Das mußte reichen. Sie setzte sich rittlings auf das Motorrad und bugsierte es ins Freie.
    »Hast du schon mal auf einem Motorrad gesessen?«
    Håkon schüttelte nur energisch den Kopf.
    »Hör zu: Du legst mir die Arme um die Taille und machst genau, was ich auch tue. Und egal, was passiert, du darfst dich nicht in die entgegengesetzte Richtung lehnen. Kapiert?«
    Diesmal nickte er, und während sie die Brille aufsetzte, stieg er auf das Motorrad und legte so fest wie nur überhaupt möglich die Arme um sie. Er drückte derart zu, daß sie seinen Griff lockern mußte, ehe das Motorrad auf die Europastraße dröhnen konnte.
    Håkon war außer sich vor Angst und schwieg. Aber er tat, wie ihm geheißen. Um seine Panik zu betäuben, schloß er die Augen und versuchte, an etwas anderes zu denken. Das war nicht leicht. Das Motorrad machte einen Höllenlärm, und er fror wie eine nasse Katze.
    Hanne Wilhelmsen ging es nicht anders. Die Handschuhe, ihre Alltagshandschuhe, waren schon durchnäßt und eiskalt. Aber es war doch besser, sie anzubehalten, sie gewährten immerhin einen leichten Schutz. Auch die Brille war eine gewisse, wenn auch kleine Hilfe. Immer wieder mußte sie sie mit der linken Hand abwischen. Sie warf einen Blick auf die leuchtende Digitaluhr vor ihr. Sie hatten sie vor dem Losfahren nicht richtig einstellen können, aber die Uhr erzählte ihr immerhin, daß sie vor einer Viertelstunde über die kleine Stichstraße gebrettert waren. Und da war es fünf nach halb neun gewesen. Es war gut möglich, daß sie in Zeitnot waren.
     
    Der Alte stellte zufrieden fest, daß seine Erinnerung ihn nicht trog. Es gab nur eine Straße nach Ula. Die war zwar asphaltiert, aber schmal, und sie lud nicht zu wüster Raserei ein. Bei einer scharfen Kurve entdeckte er eine von dichtem Unterholz fast verborgene Abzweigung. Das Auto ruckelte einige Meter über den Weg, und an einer lichteren Stelle war Platz zum Wenden. Der Frost hatte den Boden hart und kooperativ gemacht. Gleich darauf stand der Wagen mit der Front zur

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