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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Straße, gut versteckt. Durch eine kleine Lichtung konnte der Alte die eventuell kommenden Autos sehen. Das Radio brachte leise Musik, und den Umständen entsprechend hatte er es gut. Er würde Laviks Volvo erkennen. Er brauchte nur zu warten.
     
    Auch Karen Borg hörte Radio. Es war eine Sendung für Lastwagenfahrer, aber die Musik war okay. Zum sechstenmal fing sie das Buch an. »Ulysses« von James Joyce. Sie war nie über Seite fünfzig hinausgekommen, aber jetzt gab es kein Entrinnen mehr.
    Es war warm in dem geräumigen Wohnzimmer, fast zu warm. Der Boxer winselte. Sie machte die Verandatür auf, um ihn hinauszulassen. Er wollte nicht, lief aber weiterhin ruhelos hin und her. Genervt befahl sie ihm, sich hinzulegen, und schließlich ließ er sich widerwillig in einer Ecke nieder, allerdings mit erhobenem Kopf und wachsamen Ohren. Wahrscheinlich hatte er irgendein kleines Wild gewittert. Oder sogar einen Elch.
    Aber im Gebüsch unterhalb der Hütte versteckte sich weder Hase noch Elch, sondern ein Mann. Er lag schon eine ganze Weile da. Dennoch fror er nicht. Er war aufgeregt und dick angezogen. Es war leicht gewesen, die Hütte zu finden. Nur einmal hatte er sich in einem Waldweg geirrt, aber das hatte er ziemlich schnell bemerkt. Um diese Jahreszeit waren alle anderen Hütten unbewohnt, und er hatte nur fünf Minuten von hier entfernt ein gutes Versteck für den Wagen gefunden. Wie ein kleiner Leuchtturm stand die Hütte da und wies den Weg.
    Kopf und Arme stützte er auf einen Zehnliterkanister voll Benzin. Obwohl er sich beim Füllen bemüht hatte, nichts danebenzugießen, störte ihn der Treibstoffgeruch. Ein wenig steif stand er auf, packte den Kanister und ging gebückt auf die Hütte zu. Die Vorsicht war wahrscheinlich unnötig, das Wohnzimmer lag auf der anderen Seite, zum Meer hin. Auf dieser Seite befanden sich nur die Fenster von zwei dunklen Schlafzimmern und der Toilette im Untergeschoß. Er betastete seine Brust, um sich davon zu überzeugen, daß der Schraubenschlüssel noch da war, auch wenn er wußte, daß das der Fall war. Er schlug ihm bei jedem Schritt gegen das Brustbein.
    Die Tür war sogar unverschlossen. Ein Hindernis weniger. Er lächelte und drückte unendlich langsam die Klinke nach unten. Die Tür war gut geschmiert und ließ keinen Mucks hören, als er sie öffnete und ins Haus trat.
     
    Der Alte schaute auf die Uhr. Er saß jetzt schon lange hier. Kein Volvo war vorbeigekommen, nur ein Peugeot, zwei Opel und ein alter, dunkler Lada. Der Verkehr war äußerst spärlich. Er versuchte sich ein wenig zu strecken, aber auf einem Autositz war das nicht so einfach. Er wagte es nicht, auszusteigen, um sich die Beine zu vertreten.
    Irrsinn! Ein Motorradfahrer mit Beifahrer kam in wildem Tempo über die schlechte Straße. Helme trugen sie auch nicht, nicht mal Motorradkleidung. Und das um diese Jahreszeit! Ihm schauderte, das mußte doch eiskalt sein. In der Kurve geriet das Motorrad heftig ins Schlingern, und für einen Moment hatte er Angst, es könnte gegen sein Auto geschleudert werden. Doch der Fahrer konnte es in letzter Sekunde wieder aufrichten, steigerte das Tempo und verschwand. Irrsinn. Er gähnte und sah noch einmal auf die Uhr.
     
    Karen Borg war bis Seite fünf gekommen. Sie seufzte. Das Buch war gut, das hatte sie schließlich gelesen. Sie selbst fand es unerträglich langweilig. Aber sie war fest entschlossen. Trotzdem fielen ihr immer wieder neue Gründe ein, die Lektüre zu unterbrechen. Jetzt wollte sie mehr Kaffee.
    Der Hund war noch immer unruhig. Vielleicht war es besser, ihn gar nicht hinauszulassen, er war schon zweimal einen ganzen Tag auf Hasenjagd ausgeblieben. Witzig, er war doch gar kein Jagdhund. Aber vielleicht war das ein Instinkt, den alle Hunde hatten. Plötzlich hörte sie etwas. Sie drehte sich zu dem Boxer um. Der lag ganz still, sein Gewinsel war unvermittelt verstummt, aber er hatte den Kopf schräg gelegt und die Ohren aufgerichtet. Ein schwaches Zittern durchlief seinen Körper, und sie wußte, daß auch er etwas gehört hatte. Und zwar von unten her. Sie ging zur Treppe.
    »Hallo?« Lächerlich. Natürlich war da niemand. Sie stand einige Sekunden lang mäuschenstill da, dann zuckte sie mit den Schultern und machte kehrt. »Liegengeblieben«, befahl sie streng, als sie sah, daß der Hund aufstehen wollte.
    Dann hörte sie Schritte hinter sich und fuhr herum. Ungläubig starrte sie auf die Gestalt, die die fünfzehn Stufen heraufgerannt kam. Obwohl

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