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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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fast glücklich über diesen Gedanken.

MONTAG, 19. OKTOBER
    Hanne Wilhelmsens Begegnung mit ihrem brutalen Angreifer lag erst gut eine Woche zurück. Sie hätte noch mindestens eine weitere Woche krankgeschrieben werden sollen. Wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, daß das vernünftig klang. Noch immer hatte sie leichte Kopfschmerzen, ihr war schwindelig und übel, wenn sie sich überanstrengte. Allen anderen, Cecilie inbegriffen, versicherte sie jedoch, sich ausgezeichnet zu fühlen. Nur ein bißchen müde. Sie akzeptierte fünfzig Prozent Krankschreibung für eine Woche.
    Als sie das kombinierte Besprechungs- und Frühstückszimmer betrat, applaudierten alle, was sie entsetzlich verlegen machte. Dennoch lächelte sie und schüttelte alle Hände, die sich ihr entgegenstreckten. Einige Witze galten ihrer Frisur; sie erwiderte die freundliche Neckerei mit Selbstironie, und alle lachten. Sie war noch immer zugepflastert, und ihre untere Gesichtshälfte wies alle Schattierungen von Gelb und Grün auf. Das schützte sie vor Umarmungen – bis der Abteilungsleiter ins Zimmer kam, ihre Schultern packte und sie energisch an sich drückte.
    »Starke Frau«, sagte er ihr ins Ohr. »Verdammt, Hanne, du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt!«
    Hanne mußte erneut beteuern, daß mit ihr alles in Ordnung sei, und versprechen, dem Abteilungsleiter alle Erklärungen zu liefern, auf die er Anspruch zu haben glaubte. Sie verabredeten Ort und Zeit, und Hauptkommissar Kaldbakken schloß sich an.
    Plötzlich stand Billy T. in der Tür. Mit seinen zweihundertundfünf Zentimetern plus Boots stieß er oben am Türrahmen an. Er lächelte breit und bot einen beängstigenden Anblick.
    »Knockout in der ersten Runde, Hanne? Ich dachte, du könntest dich besser verteidigen«, sagte er mit aufgesetzter Enttäuschung in der Stimme. Er hatte selbst mit Hanne Wilhelmsen Selbstverteidigung trainiert. »Willst du dir den ganzen Tag huldigen lassen, oder hast du ein paar Minuten für die Arbeit übrig?«
    Die hatte sie. Ihren Schreibtisch dominierte ein kolossaler Blumenstrauß. Er war schön, aber die Vase sah unmöglich aus. Sie war nicht groß genug, und als sie sie vorsichtig zur Fensterbank hinüberschieben wollte, verlor das ganze Arrangement das Gleichgewicht. Die Vase fiel auf den Boden und zerbrach. Blumen und Wasser überall. Billy T. lachte.
    »Da sieht man, was passiert, wenn man hier in diesem Haus mal nett ist«, sagte er.
    Er schob Hanne Wilhelmsen beiseite, fegte mit einer Riesenfaust die Blumen zusammen und versuchte, das Wasser mit den Stiefeln an die Wand zu schieben. Das klappte nicht. Er setzte sich und warf die Blumen in eine Ecke.
    »Ich glaube, ich hab’ was für dich«, erklärte er und zog zwei Blätter aus der Hosentasche. Sie waren von seinem Hintern abgerundet wie eine vielbenutzte Brieftasche. Offenbar trug er sie schon länger bei sich. »Beschlagnahmung«, erklärte er, während Hanne Wilhelmsen die Bögen auseinanderfaltete.
    »Haben letzte Woche eine Wohnung hochgenommen. Wiedergänger, und wir haben Schwein gehabt. Zwanzig Gramm Heroin, vier Gramm Kokain. Sauschwein, bisher hatte der Typ immer nur Kleinkram. Jetzt sitzt er hier hinten und klappert mit den Zähnen.« Er streckte den Arm in Richtung Fenster aus und wollte damit wohl auf den Hinterhof zeigen. »Bleibt sitzen, weißt du, bis zur Hauptverhandlung, und das kann noch eine Weile dauern«, fügte er zufrieden hinzu.
    Was auf den beiden Bögen stand, hatte große Ähnlichkeit mit dem Code aus dem Pornofilm im Anwaltsbüro. Nichts als Zahlenkolonnen, in Dreiergruppen. Alles handgeschrieben; oben stand auf einem der Bögen »Borneo«, auf dem anderen »Afrika«.
    »Der Mann ist wirklich das reine Singvögelchen, behauptet aber steif und fest, keine Ahnung zu haben, was diese Zahlen bedeuten. Wir haben ihn ganz schön durch die Mangel gedreht, und er hat uns einige brauchbare Informationen geliefert. Mehr als notwendig, strenggenommen. Deshalb frage ich mich allmählich, ob er vielleicht tatsächlich nicht weiß, was die Zahlen bedeuten.«
    Sie starrten die Bögen an, als ob sie etwas verbargen, das ihnen ins Auge springen könnte, wenn sie sie nur lange genug anstarrten.
    »Hat er gesagt, wo er die herhat?«
    »Ja, er behauptet, sie zufällig gefunden und als eine Art Versicherung behalten zu haben. Mehr kriegen wir nicht aus ihm heraus, auch nicht, was das für ein Zufall war.«
    Hanne Wilhelmsen fiel die seltsame Konsistenz des Papiers auf. Es

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