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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Danach wusch er sich die Hände und lächelte die Frau, die nicht einmal auf Wiedersehen sagte, als er die Kanzlei verließ, freundlich an. Er machte sich nichts daraus.
     
    Es war schon reichlich spät. Es war saukalt, aber Fredrick Myhreng sehnte sich trotzdem nicht ins Warme. Er grauste sich. Der Übermut des Vormittags war einer zögernden Nachdenklichkeit gewichen. Auf der Journalistenschule hatte er nichts über Einbrüche und andere Ungesetzlichkeiten gelernt. Im Gebäude befanden sich in drei Etagen Büros und in zwei weiteren Wohnungen, wenn die Klingelleiste stimmte. Im Film schellten die Einbrecher immer bei allen und sagten: »Hi, it’s Joe«, in der Hoffnung, daß irgendwer einen Joe kannte und die Tür aufmachte. Hier würde das wohl kaum klappen. Die Haustür war verschlossen. Er entschied sich für die zweitbeste Lösung und zog ein Brecheisen aus seiner Lederjacke.
    Es war ziemlich einfach. Nach zweimal Drücken gab die Tür nach. Die Angeln quietschten nicht einmal, als er die Tür gerade weit genug öffnete, um ins Haus zu schlüpfen. Zur Linken erblickte er eine weitere Tür und davor drei schmale Granittreppenstufen. Fredrick Myhreng rechnete mit einem neuen Hindernis, dann faßte er doch sicherheitshalber an die Klinke, ehe er mit dem Brecheisen auf diese zweite Tür losging. Irgendwer hatte vergessen, abzuschließen, die Tür öffnete sich. Das kam so unerwartet, daß er unfreiwillig einen Schritt zurücktrat, in die Luft; sein Fuß prallte tiefer und später, als seine Reflexe berechnet hatten, auf den Boden. Er jammerte, doch der Schmerz konnte seiner Freude darüber, wie glatt alles ging, nichts anhaben.
    Er jagte in der Hälfte der Zeit, die er vor einigen Stunden dafür benötigt hatte, die Treppe hinauf. Bei dem matten Fenster blieb er bewegungslos stehen, um wieder zu Atem zu kommen – und um zu lauschen, ob irgend jemand ihn entdeckt hatte. Er hörte nur sein eigenes Ohrensausen, und nach einer Minute zog er eine kleine Plastikdose mit Knetgummi aus der Tasche. Er drückte die weiche Masse vorsichtig gegen das Glas und preßte sie am Rand mit dem Daumen platt. Es war schwer einzuschätzen, wie fest er drücken mußte, um das Fenster zum Fallen zu bringen, aber nach einer Weile war er zufrieden und wiederholte die Operation weiter unten mit einem neuen Klumpen. Als auch der an Ort und Stelle saß, legte er die Hände gegen beide Klumpen und drückte zu. Das Fenster rührte sich nicht.
    Ihm brach der Schweiß aus, und er hätte gern die Jacke ausgezogen. Sie behinderte seine Bewegungen, und nach dem zweiten Versuch legte er sie schließlich ab. Seine Finger bekamen die Knetmasse jetzt trotz der Handschuhe gut zu fassen. Als er beim dritten Versuch sein gesamtes Körpergewicht einsetzte, merkte er, wie die Schrauben nachgaben. Zum Glück lockerte sich das Fenster zuerst unten. Er wippte den Rahmen hoch und machte gleichzeitig einen Schritt über die Einfassung in das kleine Zimmer. Das Fenster saß ganz lose, es war unversehrt. Er schnappte sich seine Jacke, dann entfernte er die Knetmasse und setzte das Glas wieder an seinen Platz.
    Vorsichtig öffnete er die Tür zum Vorzimmer. Fredrick Myhreng war klug genug, mit einer Alarmanlage zu rechnen. Vermutlich war sie nicht besonders ausgefeilt. Über dem Fenster entdeckte er einen kleinen Behälter, an dem ein rotes Lämpchen glühte. Er legte sich auf den Bauch und robbte zu Laviks Arbeitszimmer. Er hatte die Taschenlampe hinten unter seinen Gürtel geschoben, und sie zerkratzte ihm den Rücken, als er sich ziemlich unbeholfen vorwärts bewegte. Die Tür war offen. Er ließ den Lichtkegel nach einer entsprechenden Alarmanlage wie der im Vorzimmer suchen. Es gab keine. Jedenfalls konnte die Taschenlampe keine finden. Er ging das Risiko ein und erhob sich.
    Natürlich wußte er nicht, was er suchte. Er hatte sich das nicht überlegt und kam sich ziemlich blöd vor, als er in einem Büro stand, zu dem er keinen legalen Zugang hatte; sein erstes Verbrechen, und das ohne Sinn und Ziel. Der Safe war abgeschlossen, das war kaum verdächtig. Der Aktenschrank dagegen stand offen; Myhreng zog die Schubladen heraus und fand diverse Ordner, alle mit einem kleinen Aktenreiter in einer Ecke, auf den mit eleganter, leicht lesbarer Schrift jeweils ein Name geschrieben war. Die Namen sagten ihm nichts.
    Die Schreibtischschublade enthielt, was zu erwarten gewesen war. Gelbe Notizzettel, rosa Marker, eine Menge Kugelschreiber und zwei Büroklammern. Alles

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