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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Männer wußten, daß sie hinter Gittern ein gutes Jahresgehalt verdienten. Doch selbst wenn die Kuriere geredet hätten, hätten sie nicht viel zu erzählen gehabt. Das hatte er jedenfalls bis vor kurzem geglaubt, ihm war nicht klar gewesen, daß seine beiden Kronprinzen ihre Befugnisse überschritten hatten.
    Er hatte bedeutende Beträge eingesackt. Zusätzlich zu einem stattlichen legalen Jahreseinkommen, weshalb er in sehr guten Verhältnissen lebte. Einiges hatte er nach und nach vorsichtig ausgegeben, aber immer so, daß es angesichts seines offiziellen Einkommens vertretbar war. Das Brunnengeld gehörte ihm. Außerdem hatte er einen entsprechenden Betrag auf ein Schweizer Konto eingezahlt. Der größere Teil des Ertrages jedoch befand sich auf einem Konto, über das er nicht selbst verfügte. Er konnte Geld einzahlen, aber nicht abheben. Dieses Konto galt dem ZIEL. Er war stolz darauf. Die Freude, zum Erreichen des Ziels beitragen zu können, hatte seine Skrupel gegenüber einem Leben zwischen Recht und Unrecht, Verbrechen und Gesetzestreue verdrängen können. Er war der Erwählte und tat das Richtige. Das Schicksal, das über so viele Jahre hinweg seine schützende Hand über die Operationen gehalten hatte, war auf seiner Seite. Die wenigen Fehler waren berechenbar, die Ereignisse der letzten Zeit nur eine Mahnung eben dieses Schicksals, das Geschäft nun abzuwickeln. Der graumelierte Mann betrachtete das Schicksal als guten Freund und hörte auf die Signale, die es ihm schickte. Er hatte zahllose Millionen verdient. Nun sollten andere übernehmen.
    Der Bonus für die unglückseligen Kuriere hatte das Kapital ein wenig verringert, war aber sinnvoll angelegt. Nur die beiden Kollegen hatten gewußt, wer er war. Olsen war tot. Lavik hielt die Klappe. Bis auf weiteres jedenfalls. Er würde sich später darum kümmern, er hatte für alle denkbaren Probleme einen Plan.
    Hansa Olsen war das erste Mordopfer in Friedenszeiten. Es war erstaunlich einfach gewesen. Es hatte sein müssen, und im Grunde war es auch nicht viel anders als damals, als zwei deutsche Soldaten mit blutigen Löchern in ihren Uniformen vor ihm im Schnee gelegen hatten. Er selbst war damals, siebzehnjährig, nach Schweden unterwegs gewesen. Die Pistolenschüsse hatten in seinen Ohren noch nachgehallt, als er die beiden nach Wertgegenständen abgesucht hatte; danach war er, erfüllt von nationalen Gefühlen, weiter nach Schweden und in Richtung Freiheit gestapft. Es war kurz vor Weihnachten 1944 gewesen, und er hatte gewußt, daß er auf der Siegerseite stand. Er hatte zwei Feinde getötet und empfand deswegen keinerlei Reue. Auch der Mord an Hansa Olsen hatte ihm keine Schuldgefühle beschert. Es hatte schließlich sein müssen. Er hatte eine Art Erregung verspürt, eine Freude, die verwandt war mit dem Siegesgefühl nach einer gelungenen Apfelklauaktion vor über fünfzig Jahren in Nachbars Garten. Die Waffe war alt gewesen, nicht registriert, in bestem Zustand, gekauft von einem längst verstorbenen Mandanten.
    Er hatte das Dokument gelesen. Nun rollte er es zu einer Fackel zusammen und warf es ins Feuer. Die dreiundzwanzig Codezettel nahmen denselben Weg. Zehn Minuten später gab es auf der ganzen Welt kein Dokument mehr, das ihn mit anderem als ehrsamer Arbeit hätte in Verbindung bringen können. Keine Unterschrift, nichts Handschriftliches, keine Fingerabdrücke. Keine Beweise.
    Er fröstelte und holte trockene Kleider aus dem Kabuff. Es war einfacher, die Schatulle wieder im Brunnen zu verstecken, als sie zu holen. Er kippte den Kaffeesatz in den Kamin, dann zog er sich die trockenen Sachen an, hängte die nassen in den Schuppen und schloß die Hütte ab. Es war zwei Uhr, er konnte gerade noch rechtzeitig in der Stadt sein, um frisch geduscht zur Arbeit zu erscheinen. Erkältet und müde zwar, aber daran war sicher ein neues Virus schuld. Das meinte jedenfalls seine Sekretärin.

DIENSTAG, 3. NOVEMBER
    Fredrick Myhreng war in Spitzenform. Lebendig hatte Hans A. Olsen ihm gegen ein paar Bier zu einigen brauchbaren Dreispaltern verholfen. Der Mann war den Zeitungsleuten hinterhergerannt wie ein kleiner Junge den Pfandflaschen. Tot war er Myhreng dennoch lieber. Der hatte jetzt das volle Vertrauen des Redakteurs, konnte sich ganz und gar auf den Mafiafall konzentrieren, und die Kollegen, die begriffen, daß der Junge hier gerade seine Marktlücke fand, nickten ihm aufmunternd zu. »Kontakte, weißt du, Kontakte«, grinste er, wenn Fragen

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