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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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mehr Wandschmuck hätte vielleicht etwas gedämpft. Der Schreibtisch war bemerkenswert aufgeräumt, nur drei oder vier Ordner lagen darauf. Ein gediegener Aktenschrank aus Edelholz ragte in einer Ecke neben einem kleinen Safe auf. Der Mandantensessel war bequem, aber Myhreng wußte, wo er gekauft worden war und daß er billiger war, als er aussah. Er hatte auch so einen. Die Bücherregale waren nicht sonderlich gut gefüllt. Fredrick Myhreng ging davon aus, daß es irgendwo in der Kanzlei noch eine Bibliothek gab. Mit einem Lächeln registrierte er einen Regalmeter alter Jungenbücher, den Buchrücken nach zu schließen, in beneidenswert gutem Zustand.
    Wieder stellte er sich vor. Der Anwalt wirkte neugierig, und der Schweiß auf seiner Oberlippe war sicher einem defekten Thermostat zu verdanken. Myhreng schwitzte selbst, er zog seinen Wollpullover aus.
    »Ist das ein Interview?« fragte der Anwalt recht freundlich.
    »Nein, du kannst es als kleine Anfrage betrachten.«
    »In welchem Zusammenhang?«
    »Es geht mir um deine Verbindung zu Hansa Olsen und den Rauschgifthandel, in den er verwickelt war, wie die Polizei glaubt.«
    Er hätte schwören können, daß Anwalt Lavik darauf reagierte. Eine leichte, kaum wahrnehmbare Röte überzog seinen Hals, und seine Unterlippe saugte eine Schweißperle von der Oberlippe.
    »Meine Verbindung?« Er lächelte, aber es sah nicht besonders hübsch aus.
    »Ja, deine Verbindung.«
    »Ich hatte doch nichts mit Olsen zu tun! Und er war in Rauschgiftgeschäfte verwickelt? Verwickelt? Nach der Lektüre deiner Zeitung hatte ich den Eindruck, daß er Drogenkriminellen zum Opfer gefallen ist, und nicht, daß er in irgendwas verwickelt war …«
    »Bisher können wir auch nichts anderes behaupten, aber wir haben unsere Theorien. Und die Polizei auch, glaube ich.«
    Lavik riß sich jetzt zusammen. Wieder lächelte er, diesmal etwas hübscher. »Na, das ist einfach ein Schuß in den Ofen, wenn du mich da mit reinziehst. Ich habe den Mann doch kaum gekannt. Bin ihm natürlich hier und da mal begegnet, aber ich kann nicht behaupten, ihn gekannt zu haben. Tragischer Tod übrigens. Aber Kinder hatte er wohl nicht?«
    »Nein, das nicht. Was machst du eigentlich mit deinem Geld, Lavik?«
    »Mit meinem Geld?« Er wirkte aufrichtig überrascht.
    »Ja, du verdienst doch dick, wenn du ein braver Junge warst und das Finanzamt nicht belogen hast. 1,4 Millionen im letzten Jahr. Wo stecken die?«
    »Das geht dich nun wirklich nicht das geringste an. Wenn du es genau wissen willst: Ich habe ein absolut reines Gewissen, und wie ich mein legal verdientes Geld anlege, ist nicht deine Angelegenheit.« Er unterbrach sich, sein Wohlwollen war aufgebraucht. Er schaute auf die Uhr und teilte mit, er müsse sich jetzt auf eine Besprechung vorbereiten.
    »Aber ich habe noch weitere Fragen, Lavik, sehr viele sogar«, protestierte der Journalist.
    »Ich dagegen habe keine Antworten mehr«, sagte Lavik energisch und zeigte auf die Tür.
    »Kann ich denn wiederkommen, wenn du mehr Zeit hast?« quengelte Myhreng auf dem Weg zur Tür.
    »Ruf lieber an. Ich bin ein sehr beschäftigter Mann«, sagte der Anwalt und schloß die Tür hinter ihm.
    Fredrick Myhreng war allein mit der Bibliothekarin. Sie schien von der abweisenden Haltung ihres Arbeitgebers angesteckt und machte den Eindruck, als würde sie am liebsten nein sagen, als Myhreng bat, die Toilette benutzen zu dürfen. Anstandshalber sagte sie schließlich: »Bitte sehr.«
    Ihm war schon im Flur ein fünfzig Zentimeter von der Tür entferntes Fenster aus Mattglas aufgefallen. Als er im Vorzimmer saß, hatte er sich überlegt, daß es zur Toilette gehören mußte. Das stimmte nicht ganz. Hinter der Tür mit dem Porzellanherzen befand sich ein kleiner Vorraum mit Waschbecken, die Toilettenzelle lag hinter einer Schwingtür mit Schloß.
    Er klapperte ein wenig mit der Schwingtür, fischte aber, statt hineinzugehen, ein dickes Messer aus der Tasche. Es hatte drei Schraubenzieher, und es war kein Problem, die sechs Schrauben zu lockern, die das Fenster hielten. Fredrick Myhreng wußte genug von der Tischlerei, um darüber zu lächeln, daß das Fenster angeschraubt war. Es hätte verkeilt werden müssen; so würde es sich unweigerlich verziehen. Das war allerdings noch nicht passiert, wahrscheinlich, weil es nicht nach draußen ging und kaum Feuchtigkeit abbekam. Er achtete darauf, daß die Schrauben noch ein paar Drehungen übrig hatten, ging in die Klozelle und zog ab.

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