Blinde Goettin
kamen.
Er steckte sich eine Zigarette an; ihr Rauch vermischte sich mit den Auspuffgasen, die bleischwer drei Meter hoch über dem Asphalt lagen. Er lehnte sich an eine Laterne, schlug den Kragen seiner Lammfelljacke hoch und kam sich vor wie James Dean in seinen besten Zeiten. Eine Tabakflocke geriet ihm beim Inhalieren in den falschen Hals. Er hustete heftig und lange, und seine Augen tränten. Seine Brille beschlug, er konnte nichts mehr sehen. Von James Dean keine Spur.
Er schüttelte den Kopf und riß die Augen auf, um wieder einen klaren Blick zu bekommen.
Auf der anderen Seite der vielbefahrenen Straße lag Jørgen Ulf Laviks Kanzlei. Eine gediegene Messingtafel verriet, daß Lavik, Saetre und Villesen im zweiten Stock des gewaltigen Steingebäudes residierten. Zentrale Lage, nur einen guten Steinwurf vom Gericht entfernt. Praktisch.
Lavik war interessant. Myhreng hatte eine Reihe von Leuten unter die Lupe genommen, ein wenig herumtelefoniert, alte Steuererklärungen durchgesehen, die Kneipen aufgesucht und war jovial gewesen. Er hatte mit zwanzig Namen auf seinem Block angefangen, jetzt waren noch fünf übrig. Das Aussortieren war schwierig gewesen, er war vor allem seinem Instinkt gefolgt. Lavik stand inzwischen ganz oben auf dem Block. Dick unterstrichen. Er gab verdächtig wenig Geld aus. Vielleicht war er ja genügsam, aber es mußte doch Grenzen geben. Hütten- und bootslos war er auch, obwohl seine Steuererklärungen der letzten Jahre bewiesen, daß sein Laden sehr gut lief. Er hatte an einem Hotelprojekt in Bangkok, an dem er noch immer beteiligt war, viel verdient. Offenbar handelte es sich um eine besonders gute Investition für seine norwegischen Mandanten, die zu weiteren Projekten im Ausland geführt hatte, die meisten mit gutem Profit für die Investoren und für Lavik selbst.
Als Verteidiger konnte er durchaus als erfolgreich gelten. An der Gerüchtebörse stand er nicht schlecht im Kurs, die Statistik der Freisprüche überzeugte, und es war schwer, jemanden zu finden, der schlecht über ihn sprach. Myhreng war nicht aufsehenerregend intelligent, aber er war clever genug, das zu erkennen. Außerdem war er erfinderisch und verfügte über gute Intuition. Und er war bei einem routinierten Lokalredakteur in eine gute Schule gegangen und wußte, daß ermittelnder Journalismus vor allem aus Schüssen ins Blaue und harter Arbeit bestand.
»Die Wahrheit ist immer gut versteckt, Fredrick, immer gut versteckt«, hatte ihm der alte Zeitungsmann eingeschärft. »Du mußt ganz schön viel Mist beiseite schaufeln, bis du sie gefunden hast. Zieh dich gut an, gib niemals auf und wasch dich gründlich, wenn du fertig bist.«
Ein Plausch mit Anwalt Lavik konnte nicht schaden. Es war besser, keinen Termin abzumachen. Überraschender. Er drückte seine Zigarette aus, spuckte aus und ging im Zickzack zwischen hupenden Autos und einem parkenden Lkw hindurch über die Straße.
Die Frau am Empfang war überraschend häßlich. Sie war alt und sah aus wie eine Bibliothekarin in einem amerikanischen Jugendfilm. Empfangsdamen sollten schön und freundlich sein. Diese sah aus, als wollte sie »pst!« sagen, als er über die Schwelle stolperte und ins Vorzimmer fiel. Aber überraschenderweise lächelte sie. Ihre Zähne waren auffallend gleichmäßig und grau. Einwandfrei ein Gebiß.
»Diese Schwelle ist einfach zu hoch«, klagte sie. »Das habe ich schon so oft gesagt. Ein Wunder, daß noch nichts Schlimmes passiert ist. Womit kann ich dem Herrn behilflich sein?«
Myhreng lächelte sein Alte-Damen-für-sich-einnehmen-Lächeln. Sie durchschaute ihn, und ihr Mund nahm einen strengen Zug an, der kleine wütende Pfeile auszusenden schien.
»Ich würde gern mit Rechtsanwalt Lavik sprechen«, sagte er, ohne sein mißratenes Lächeln abzulegen.
Die Frau blätterte in einem Buch, fand ihn nicht. »Kein Termin?«
»Nein, aber es ist ziemlich wichtig.«
Fredrick Myhreng stellte sich vor, und der Mund der Dame zog sich noch mehr zusammen. Wortlos betätigte sie ein Telefon. Sie gab seinen Wunsch weiter, vermutlich an den Adressaten. Erst nach einer Weile legte sie auf. Sie machte mit der Hand eine seltsame Bewegung zu einer Sitzgruppe hinüber und bat ihn um Geduld. Anwalt Lavik werde ihn empfangen, es könne jedoch noch einige Minuten dauern.
Es dauerte eine halbe Stunde.
Laviks Büro war hell und geräumig. In dem quadratischen Zimmer mit Parkettboden hingen nur drei Bilder an der Wand. Die Akustik war unangenehm,
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