Blinde Goettin
dünn, auch wenn wir wissen, daß sie einander gekannt haben. Lavik hat das einmal zugegeben und würde es sicher auch wiederholen. Sein Gefasel über seine Mandanten kriegen wir dann sicher auch wieder zu hören, aber es ist doch eine unbestreitbare Tatsache, daß es auffällt, wenn jemand Telefonnummern kodiert notiert. Das macht Mühe, und man tut es bestimmt nicht ohne Grund. Außerdem«, fügte sie nachdrücklich hinzu, während sie sicherheitshalber einen dicken Kreis um Punkt drei malte, »außerdem haben wir Laviks Fingerabdrücke auf Jacob Frøstrups Banknote gefunden. Daß der Dealer war, ist sechzehnmal bewiesen worden. Vor Gericht. Außerdem dachte ich bisher, Anwälte bekämen von ihren Mandanten Geld. Nicht umgekehrt. Das wird Lavik ganz schön ins Schwitzen bringen. Unsere stärkste Karte, wenn ihr mich fragt.« Die Kommissarin unterbrach sich, als ob sie eventuelle Proteste erwartete. Die blieben aus, und sie redete weiter. »Bei Punkt vier geraten wir etwas mehr ins Schlingern. Im großen Zusammenhang ist er sehr interessant; ich bin davon überzeugt, daß die Codezettel uns eine Menge sagen würden, wenn wir diesen verdammten Code bloß knacken könnten. Aber da wir nicht vorhaben, Lavik wegen Mordes anzuklagen, bezweifle ich, daß wir sie jetzt schon geltend machen sollten. Vielleicht brauchen wir später noch ein As. Was die Tatsache angeht, daß Lavik zu kritischen Zeitpunkten im Leben von van der Kerch und Frøstrup aufgetaucht ist: Auch das sind Zugaben, die vorerst vielleicht ungenutzt bleiben sollten. Also haben wir Punkt eins bis drei als eventuelle Haftgrundlage.« Wieder machte sie eine Pause.
»Reicht das, Håkon?« Er sah sie an und wußte, daß sie wußte. Im Grunde reichte es nicht.
»Festnahme weswegen denn? Wegen Mordes? Nein. Wegen Rauschgifthandels? Kaum. Wir haben ja keinerlei Beweis.«
»Doch, haben wir«, protestierte Kaldbakken. »Was wir bei Frøstrup beschlagnahmt haben, war schließlich keine Kleinigkeit.«
»Nimm deine Phantasie zu Hilfe, Håkon«, bat Hanne und lächelte schief. »Du kannst doch sicher irgendwas daraus machen. Eure Anklagen sind meistens vage und löchrig, und trotzdem setzt ihr dauernd U-Haft durch.«
»Du vergißt eins«, sagte Håkon. »Du vergißt, daß dieser Mann selbst Anwalt ist. Und das weiß auch das Gericht. So eine Haftverhängung geht nicht in zwanzig Minuten durch. Wenn wir versuchen wollen, dieses Arschloch hopszunehmen, dann müssen wir sicher sein, daß wir es auch schaffen. Es wird auf jeden Fall einen Höllenlärm geben. Und wenn sie ihn laufenlassen, wird es heißer für uns, als uns lieb sein kann.«
Trotz Håkons Skepsis war Kaldbakken überzeugt. Und wenn es um polizeifachliche Arbeit ging, konnte niemand dem übellaunigen, autoritären Hauptkommissar etwas ankreiden. Punkt für Punkt gingen die sieben Anwesenden den Fall noch einmal durch, siebten Unhaltbares aus, listeten auf, was sie noch brauchten, und hatten am Ende den Entwurf einer Anklage.
»Rauschgift«, sagte der Hauptkommissar abschließend.
»Wir müssen ihn mit dem Rauschgift kriegen. Wir brauchen nicht gleich so hart zuzuschlagen. Vielleicht sollten wir uns mit den vierundzwanzig Gramm begnügen, die wir bei Frøstrup gefunden haben.«
»Nein, wir müssen das breiter anlegen. Wenn wir uns mit den paar Gramm zufriedengeben, nehmen wir uns die Möglichkeit, die Dinge zu verwenden, die nicht direkt mit dieser Menge zu tun haben. Wenn wir eine Chance haben wollen, müssen wir auspacken, was wir haben. Auf unserer Liste steht so viel kleiner Dreck, daß das Gericht alles kriegen muß.« Håkon wirkte jetzt sicherer. Sein Herz hämmerte bei dem Gedanken, daß sie vielleicht vor einer Art Durchbruch standen, wie ein Hubschraubermotor. »Wir machen eine ganz allgemeine Anklage mit unspezifiziertem Zeitraum und unspezifizierter Menge. Dabei bauen wir voll auf die Ligatheorie und stützen uns auf Han van der Kerchs Aussage, daß eine solche Organisation existiert. Und dann lassen wir es darauf ankommen.«
»Wir können sagen, daß wir unsere Quellen haben.« Der Junge mit der Stupsnase konnte sich nicht beherrschen. »Das wirkt bei Drogengeschichten immer, habe ich gehört.«
Peinliches Schweigen folgte. Ehe Hauptkommissar Kaldbakken den Jungen umbrachte, griff Hanne ein.
»So etwas machen wir nie, Henriksen«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich gehe davon aus, daß du aus purem Eifer drauflosfaselst. Ich nehme das mal genauso hin wie deine Übelkeit. Aber du kommst aus
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