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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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bis zur Decke. Ein Vorhang aus billigem braunem Stoff verdeckte eine Wand, er war mit Nägeln an der Decke befestigt. Die Leiste, an der er saß, war schief. Vermutlich im Suff angebracht. Hinter dem Vorhang stand ein selbstgebautes Bett, so breit, wie es lang war. Das Bettzeug konnte in diesem Jahr unmöglich gewaschen worden sein. Sie hob mit zwei plastikumhüllten Fingern die Decke an. Das Laken erinnerte an eine Palette mit Brauntönen und etwas Rot. Eine Schnapsflasche lag am Fußende. Leer. Neben dem Bett stand ein schmales Regal. Erstaunlicherweise befanden sich Bücher darin. Bei näherem Hinsehen entpuppten sie sich als dänische Pornos. Ansonsten besetzten leere und halbleere Flaschen sowie einige Andenken an die Nachbarländer das Regal, außerdem ein kleines, verschwommenes Foto eines vielleicht zehnjährigen Jungen. Sie hob es hoch und sah es sich genau an. Hatte Jacob Frøstrup einen Sohn gehabt? Gab es irgendwo einen kleinen Jungen, der den armen Junkie, der nach einer Überdosis im Osloer Kreisgefängnis geendet war, vielleicht geliebt hatte? Unbewußt wischte sie mit dem Jackenärmel Staub von dem Glasrahmen, machte mehr Platz für das Bild und stellte es zurück.
    Das einzige Fenster im Zimmer befand sich unmittelbar neben dem Alkoven. Es ließ sich öffnen. Drei Stock weiter unten, im Hinterhof, sah sie den jungen Polizisten sich mit einem Arm an die Wand stützen und den Boden anstarren. Er trug noch immer die Plastikhandschuhe.
    »Wie geht’s dir?«
    Sie bekam keine Antwort, aber er richtete sich auf, sah zu ihr hoch und machte eine beruhigende Handbewegung. Gleich darauf stand er wieder in der Tür. Blaß, aber gefaßt.
    »Das habe ich auch fünf-, sechsmal mitgemacht.« Sie lächelte tröstend. »Du gewöhnst dich daran. Atme durch den Mund und denk an Himbeeren. Das hilft.«
    Sie brauchten nur eine Viertelstunde, um die Wohnung zu durchsuchen. Etwas Interessantes fanden sie dabei nicht. Das überraschte Hanne Wilhelmsen kein bißchen. Billy T. hatte ihr versichert, daß es nichts gab; er hatte alles abgesucht. Na ja, nichts Sichtbares. Also mußten sie nach dem Unsichtbaren suchen. Sie schickte den Jungen zum Auto, um Werkzeug zu holen. Er griff diese neue Möglichkeit, frische Luft zu schnappen, dankbar auf. Drei Minuten später war er wieder da.
    »Bo sollem bir amfamgem?«
    »Beim Reden brauchst du nicht durch den Mund zu atmen; wenn du redest, atmest du doch sicher nicht ein?«
    »Ich kotze, bemm bicht die gamze Zeit beime Mase zu ist.«
    Sie suchten die Täfelung ab, die am neuesten aussah, an der Wand hinter dem Sofa. Sie war leicht zu entfernen. Der Junge hatte das Brecheisen gut im Griff und arbeitete, bis ihm der Schweiß troff. Nichts zu finden. Die Täfelung wurde wieder angebracht, das Sofa zurückbugsiert.
    »Der Teppich«, befahl Hanne und bückte sich in einer Ecke. Der Teppichboden, der einst grün gewesen sein mochte, war von Dreck und Staub bleischwer geworden. Hanne und ihr Kollege mußten sich abwenden, als das alles hochgewirbelt wurde. Trotzdem konnten sie ihn bis zum Sofa aufrollen. Die Dielen unter dem Teppich sahen uralt aus und hätten schön werden können, wenn sie abgeschliffen worden wären.
    »Sieh bal, das ist bicht gamz so dreckig bie die amderem«, murmelte der Rothaarige und zeigte auf ein Dielenbrett.
    Er hatte recht. Das Brett war viel heller als die anderen. Außerdem fehlte in seiner Umgebung der Dreck, der sonst überall die Dielenritzen einebnete. Hanne nahm einen Schraubenzieher, lockerte das Brett und hob es vorsichtig hoch. Ein kleiner Hohlraum kam zum Vorschein. Etwas, das in eine Plastiktüte gepackt war, füllte diesen Hohlraum aus. Der Rothaarige war jetzt so eifrig, daß er vergaß, durch den Mund zu atmen.
    »Das ist Geld, Wilhelmsen, Geld! Und zwar verdammt viel!«
    Die Kommissarin erhob sich, zog ihre schmutzigen Plastikhandschuhe aus, warf sie in eine Ecke und streifte saubere über. Dann hockte sie sich wieder hin und zog das Paket aus dem Loch. Der Junge hatte recht. Es war Geld. Ein dicker Stapel Tausender. In aller Eile stellte sie fest, daß es sich um mindestens fünfzigtausend Kronen handeln mußte. Ihr Kollege hatte eine Plastiktüte aus der Tasche gezogen und hielt sie ihr hin. Sie war gerade groß genug.
    »Gut gemacht, Henriksen. Aus dir wird noch mal ein Spitzenbulle!«
    Der Junge freute sich über dieses Lob, und in purem Glücksrausch bei der Aussicht, diesen stinkenden Ort zu verlassen, räumte er freiwillig auf. Dann

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