Blinde Goettin
dem Anfängerstadium nie heraus, wenn du nicht lernst, erst zu denken und dann zu reden. Man darf Abkürzungen machen, aber man darf niemals pfuschen. Niemals! Und es stimmt auch gar nicht. Das Schlimmste, womit wir dem Untersuchungsgericht kommen können, sind anonyme Tips! Merk dir das«, fügte sie hinzu.
Der Junge war gebührend zusammengestaucht worden, und die Besprechung ging zu Ende. Hanne und Håkon blieben sitzen.
»Wir müssen das mit der Polizeipräsidentin absprechen. Und mit dem Generalstaatsanwalt. Um Rückendeckung zu haben, sollte ich wohl am besten auch mit dem König reden.« Es war klar, daß er sich beim Gedanken an die nächste Zukunft nicht nur freute. Mißmut breitete sich in seiner Brust aus, seit das Hubschrauberdröhnen sich gelegt hatte. Am liebsten hätte er Hanne gebeten, ihn den Haftantrag nicht allein stellen zu lassen.
Sie setzte sich neben ihn auf das kleine Sofa. Zu seiner großen Verblüffung legte sie ihm die Hand auf den Oberschenkel und lehnte sich vertraulich an seine Schulter. Der schwache Duft eines Parfüms, das er nicht erkannte, ließ ihn tief Luft holen.
»Jetzt geht es los«, sagte sie leise. »Alles, was wir jetzt zu tun haben, ist, die Stückchen zu sammeln, hier eins, dort eins, so klein, daß es sich nicht lohnen würde, damit ein Puzzle zu legen. Uns fehlen noch immer jede Menge Teilchen, aber siehst du nicht auch das Bild, Håkon? Nimm dich zusammen. Wir sind hier die Helden. Vergiß das nicht!«
»So kommt mir das aber nicht immer vor«, sagte Håkon mürrisch. Er legte seine Hand auf ihre, die noch immer auf seinem Oberschenkel ruhte. Zu seiner Überraschung zog sie sie nicht zurück. »Wir müssen es trotzdem versuchen«, sagte er schwach, ließ ihre Hand wieder los und stand auf. »Sorg dafür, daß vor der Verhaftung alles geregelt wird. Ich nehme an, du willst ihn selbst festnehmen.«
»Darauf kannst du Gift nehmen«, sagte sie entschieden.
Alle waren da. Die Polizeipräsidentin in frischgebügelter Uniform, ernst und aufrecht, steif geradezu, als ob sie verkehrt gelegen hätte. Der Staatsanwalt, ein kleiner blasser Fettwanst im Fliegerhemd und mit intelligenten Äuglein hinter dicken Brillengläsern, saß im besten Sessel. Der oberste Drogenfahnder, der nur aushalf, weil der eigentliche Hauptfahnder derzeit den Polizeipräsidenten von Hønefoss vertrat, der seinerseits eine Vertretung beim Landesgericht machte – der oberste Drogenfahnder hatte zur Feier des Tages ebenfalls Uniform angelegt. Sie war zu klein, und das Hemd klaffte über seinem Schmerbauch unschön auf. Er sah nett aus, wie ein jovialer Bilderbuchwachtmeister, mit rundem, hellrotem Gesicht und dünnen grauen Locken. Frau Justitia stand wie immer auf dem Tisch, mit hocherhobener Waage und zur Exekution gezücktem Schwert.
Eine Schreibkraft klopfte an die Tür. Sie servierte wortlos Kaffee in Plastikbechern. Hanne Wilhelmsen und Håkon Sand kamen als letzte an die Reihe, und ihre Becher waren nicht voll. Das spielte keine Rolle. Hanne probierte den Kaffee gar nicht erst, sie stand auf. Sie brauche eine gute halbe Stunde, um den Fall durchzugehen. Sie hatte ihr Material besser strukturiert, und außerdem hatte sie inzwischen mehr. Sie lächelte zum erstenmal, als sie hinzufügen konnte: »Ein Narkohund hat das Geld markiert.«
Der Drogenfahnder nickte bestätigend, aber als Polizeipräsidentin und Staatsanwalt fragend dreinschauten, erklärte sie das genauer.
»Das Geld ist mit Rauschgift in Berührung gekommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach so: Jemand hat zuerst Rauschgift angefaßt und dann das Geld. Das ist genau das Puzzlestück, das wir gebraucht haben. Leider war an dem Geldschein mit den Fingerabdrücken kein Rauschgift, aber trotzdem …«
»Apropos Fingerabdrücke«, fiel ihr der Staatsanwalt ins Wort. »Formell gesehen habt ihr Laviks Abdrücke nicht. Deshalb müssen wir das alles auslassen, wenn wir die Haftbegründung durchgehen. Habt ihr euch das überlegt?«
Er sah Håkon Sand an, der sich erhob und zu Hanne und dem Overheadprojektor hinüberstapfte.
»Ja, sicher. Wir kriegen ihn mit dem, was wir sonst noch haben, und nehmen sofort seine Fingerabdrücke. Mit der Kripo haben wir abgemacht, daß die am Montagmorgen ein offizielles Protokoll vorlegen können. Das reicht. Wir holen uns Lavik und Auto-Roger morgen nachmittag. Niemand kann von uns erwarten, daß wir in einem so großen Fall schon am Samstagvormittag den Haftantrag vorlegen können. Und dann haben wir
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