Blinde Goettin
sorgen. Es blieb bei dem Versuch. Der ältliche, uniformierte Mann hatte nicht die geringste Chance, dem Druck der Menschenmenge standzuhalten. Håkon sah sein verzweifeltes Gesicht und forderte über die Sprechanlage des Richtertisches aus dem Keller Verstärkung an. Bald hatten die vier Polizisten alle hinausgeworfen, denen die einzige Publikumsbank keinen Platz bot.
Die Verhandlung sollte genau um eins anfangen. Um vier nach eins erschien der Richter, ohne irgendwen auch nur anzusehen. Er legte einen Stapel Papiere vor sich auf den Tisch, einen Stapel, der etwas dicker war als der Ordner, mit dem Anwalt Bloch-Hansen vor drei Tagen abgespeist worden war. Håkon erhob sich und reichte dem Verteidiger weitere Unterlagen. Er hatte sieben Stunden gebraucht, um herauszusuchen, was er vor Gericht verwerten wollte. Das Gericht durfte nicht mehr Unterlagen erhalten als der Verteidiger.
Der Richter erkundigte sich leise bei Håkon Sand nach dem Angeklagten. Håkon nickte dem Verteidiger zu. Der stand auf.
»Mein Mandant hat nichts zu verbergen«, sagte er laut, um sicherzugehen, daß alle Journalisten ihn hörten. »Aber die Festnahme hat ihm begreiflicherweise arg zu schaffen gemacht – ihm und seiner Familie. Ich möchte darum bitten, daß die Haftentscheidung unter Ausschluß des Publikums gefällt wird.«
Ein enttäuschtes, fast resigniertes Seufzen lief durch die kleine Zuschauermenge. Nicht, weil sie mit einer offenen Verhandlung gerechnet hatten, sondern weil sie gedacht hatten, daß es wie üblich die Polizei sein würde, die sie rausschickte. Dieser stumme, diskrete Verteidiger verhieß nichts Gutes. Der einzige, der für alles nur ein Lächeln aufbrachte, war Fredrick Myhreng. Er hielt sich immer noch für gut versorgt mit einem stetigen Zufluß an Informationen. Seine Zeitung war gestern wesentlich inhaltsreicher gewesen als ihre Konkurrentinnen. Myhreng hatte die Stunde vor dem Gerichtstermin genossen. Er hatte sich daran geweidet, daß weitaus ältere Kollegen sich mit neugierigem Blick und schlecht getarnten Fragen an ihn herangemacht hatten.
Der Richter schlug mit der Faust auf den Tisch und befahl, die Öffentlichkeit aus dem Saal zu verbannen. Der Gerichtsdiener trottete glücklich hinter den letzten widerwilligen Presseleuten hinaus und hängte das schwarze Schild mit den weißen Buchstaben auf: Ausschluß der Öffentlichkeit.
Mit einer Miene, die an ein Lächeln erinnern konnte, erhob sich der kleine Mann vom Richterstuhl, machte die wenigen Schritte ins benachbarte Bürozimmer und kehrte mit einem vorbereiteten Haftantrag zurück.
»Hab ich’s mir doch gedacht«, sagte er und unterschrieb. Er blätterte zwei Minuten in seinem Ordner, dann zog er den Haftantrag wieder hervor und ging nach draußen, um den Wartenden mitzuteilen, was sie schon wußten. Zurück im Saal, zog er seine Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Danach spitzte er mit größter Sorgfalt drei Bleistifte und beugte sich über die Sprechanlage. »Bringt Lavik hoch«, befahl er, lockerte seinen Schlips und lächelte die fesche Sekretärin am Computer an. »Das wird ein langer Tag, Else.«
Obwohl Hanne Wilhelmsen ihn gewarnt hatte, fuhr Håkon zusammen, als Lavik hinter seinem Verteidiger in der Tür erschien. Wenn das nicht physisch unmöglich gewesen wäre, dann hätte der Adjutant geschworen, daß Jørgen Lavik während des Wochenendes zehn Kilo abgenommen hatte. Sein Anzug schlotterte nur so um ihn herum, und der Mann wirkte fast hohl. Sein Gesicht war von einem erschreckenden Grau, und seine Augen waren verquollen und gerötet. Er sah aus wie unterwegs zu seiner eigenen Beerdigung; und Håkon wußte ja auch nicht, ob die nicht näher bevorstand, als es hier irgendwem lieb war.
»Hat er zu essen und zu trinken bekommen?« fragte er Hanne, die mit einem kleinen resignierten Lächeln antwortete.
»Er wollte nur ein bißchen Cola. Seit Freitag hat er keinen Bissen zu sich genommen«, sagte Sie leise. »Das ist nicht unsere Schuld, er hatte wirklich die Sonderbehandlung.«
Auch der Richter schien besorgt über den Zustand des Häftlings. Er musterte Lavik mehrmals, dann bat er die beiden Polizisten, den Zeugenstand zu entfernen und einen Stuhl zu bringen. Die fesche Computerfrau pfiff für einen Moment auf ihr Image und bot Lavik einen Plastikbecher mit Wasser und eine Papierserviette an.
Nachdem der Richter sich davon überzeugt hatte, daß Lavik dem Tode nicht ganz so nahe war, wie es aussah, kamen sie endlich in
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